Dass Amazon und Alibaba die Einkaufswelt bald komplett regieren und der traditionelle stationäre Handel ausstirbt, das ist für viele keine Theorie mehr. Öde Citys insbesondere in Mittel- und Kleinstädten gelten als Beweis dafür. Betroffen ist auf jeden Fall der GPK- und Cookshop-Fachhandel traditioneller Prägung. Jedoch ist weder das Format Fachhandel noch die Branche in 1A-Lagen ausgestorben. Tatsächlich gibt es Chancen: für inhabergeführte Handelsformate generell und für den Handel mit Branchenprodukten im Besonderen. Aber wo geht es lang und welche Erfolgsfaktoren zeichnen sich ab?
Die Auslage von Kastner & Öhler befriedigt die große Sehnsucht der Kunden nach Hochgefühlen (Fotonachweis: ©Kastner & Öhler)
Dass Cooking-, Dining- und Decorating-Sortimente laufen, können wir immer wieder erleben. Jüngst zum Beispiel, als Gartencenter mit Living- und Genuss-Konzepten in der Vorweihnachtszeit die Kunst der Verführung voll ausspielten. Dann tauchten Mann, Frau und Kinder gerne ins Weihnachtswunderland ein, genossen beim Shoppen Plätzchen, frisch gebackene Waffeln samt Umtrunk mit oder ohne Schuss. Manchmal sogar auf Kosten des Hauses. Weitaus weniger emotional, dafür zum Teil flächenmäßig umso großzügiger fallen die Boutiqueflächen im Möbelhandel aus. Die weihnachtlichen ebenso wie die ganz normalen Ganzjahres-Fachsortimente. Dabei reiht sich eine Markenfläche an die andere, in der Hoffnung, dass Quadratmeter für Kompetenz stehen und Preise im Stil des sattsam bekannten Möbelmarketings für Attraktivität sorgen. Die Marken spielen mit, zumal ihnen die Warenhäuser immer größere Sorgen bereiten. Schließlich bleibt im Möbelhandel manches hängen, weiß man. Manche Megastores sollen sogar rund 35 Prozent ihres Umsatzes mit GPK & Co. erwirtschaften.
Oft oberhalb der Möbelkollegen positionieren sich Küchenstudios mit GPK- und Hausrat-Sortimenten auf Fachhandelsniveau. Auch hier ist Marke angesagt, doch wird hier kuratiert und entsprechend kassiert. So kann in Küchenstudios der Bon für GPK und Cookshop gut doppelt so hoch ausfallen wie bei einem Möbler, und auch gegenüber dem Fachhandel fällt dieser Vergleich zu Gunsten der Küchenprofis aus. Allerdings leidet der Küchenfachhandel – oft auf der grünen Wiese gelegen – unter geringer Frequenz. Mit dieser steht es im traditionellen Fachhandel allerdings auch nicht zum Besten.
Die Latte liegt hoch
Dass auf der grünen Wiese die Isolation droht, auch weil speziell die jüngeren großstädtischen Kunden immer öfter aufs eigene Auto verzichten, hat bei der Nummer 1 im Einrichtungshandel zum Strategiewechsel geführt. „Ikea goes City“, lautet die Devise. In Berlin wird derzeit die Location für einen sogenannten XS Store mit „nur“ 10.000 Quadratmeter Fläche gesucht. In Frankreichs Hauptstadt funktioniert das Konzept bereits: Ikea Paris La Madeleine ist ein Ort der Begegnung und der Inspiration. Ein Beispiel dafür, wie das Unternehmen räumlich, aber auch ideologisch an die Konsumenten heranrückt. Denn Paris erfüllt alle selbst auferlegten Nachhaltigkeitsverpflichtungen, einschließlich des Ziels, bis 2020 in fünf Großstädten weltweit, emissionsfreie Lieferungen nach Hause zu ermöglichen. Doch nicht nur der erneuerte und neue stationäre Wettbewerb legt die Latte für alteingesessene Handelskonzepte hoch.
Auch vom Internet werden traditionelle Fachhändler in die Zange genommen. Die Umsätze, die hier generiert werden, steigen kontinuierlich. Wenn auch der Fachhandel erfreulicher Weise selbst seinen Anteil daran an. Generationswechsel und Seiteneinsteiger helfen dabei ebenso auf die Sprünge wie Verbände, Berater und jüngst die Messe Frankfurt in Kooperation mit Nmedia. Beide heben mit der Plattform Nextrade das B2B Business auf die virtuelle Ebene. Im digitalen Zeitalter ist der Gedanke einer ganzjährig im Internet geöffneten Messe wahrscheinlich konsequent, und für Butter-und-Brot-Artikel kann das sogar eine Erleichterung im Handelsalltag bedeuten.
Konsequent kuratiert und als Erlebnis-Store positioniert: Beim Düsseldorfer qnOOtsch kommen umweltbewusste und lifestyle-orientierte Familien voll auf ihre Kosten (Fotonachweis: ©qnootsch / Kristina Fendesack)
Kuratiert funktioniert
Ganz auf eine „richtige“ Messe will aktuell aber weder das Gros der Branche verzichten, noch verlieren die Konsumenten den Spaß am realen Shoppen. Und Hand aufs Herz: Wer ist nicht schon einmal dem Charme eines Hofladens erlegen? Wer hat nicht schon einmal darüber gestaunt, was und zu welchen Preisen Konsumenten auf Bauern-, Garten-, Weihnachtsmärkten und ähnlichen Freiluftveranstaltungen kaufen, dafür sogar teilweise Eintritt bezahlen? Und wer wundert sich noch über den Erfolg, den emotional agierende Modehändler, Restaurants, Foodhandel und andere Branchenfremde mit GPK-, Cookshop- und Geschenkartikeln haben? Ihr Erfolgsrezept ist hinreichend bekannt: Meist warten gemischte Sortimente mit Überraschungen auf, kuratierte Angebote wirken besonders beziehungsweise authentisch und werden mit Genuss und Erlebnis verbunden. Nicht selten werden diese Produkte limitiert, was die Begehrlichkeit zusätzlich steigert: Wenn weg, dann weg, dieses Prinzip funktioniert auf preislich höchster Ebene hervorragend. Folglich fassen auch im GPK-/Cookshop-Handel emotional aufbereitete Concept Sortimente immer mehr Fuß. Der Ausbau in Richtung Textilien bewährt sich von modischen Artikeln für die Damen bis hin zu Tischsets und Läufern, welche aktuell sogar „riesig“ laufen sollen. Ebenso erzielen Designprodukte und moderne handwerkliche Produkte gute Preise.
Wer über das quo vadis im Fachhandel diskutiert, darf den menschlichen Faktor nicht vergessen. Wo sich Menschen begegnen und miteinander reden können, da funktioniert das Geschäft. In den niederländischen „Jumbo“ Supermärkten wird diese Tatsache sogar zum Geschäftsprinzip. In den Filialen werden sogenannte „Kletskassa“ eingeführt. Das sind separate „Plauderkassen“, an denen Kassiererinnen und Kunden in Ruhe miteinander reden können, ohne dass die Kunden dahinter drängeln oder die Chefs auf die Uhr schauen. Man plaudert über Ware, Preise, Wetter und vor allem über das Leben allgemein. Wem das nicht genügt, der findet mitten im Laden einen Kaffeeklatsch-Tisch, an dem Kunden zum Talk zwischendurch gern Platz nehmen. Die Kunden sollen beim Einkaufen Spaß haben, erklärt Dick de Fijter, Niederlassungsleiter von Jumbo in Vlijmen, wo die erste Kasse als Testlauf ihre Bewährungsprobe bestand. Es lebe die soziale Funktion des Handels. Heute sind in Deutschland laut Bundesfamilienministerium vor allem Menschen zwischen 40 und 89 Jahren stark von Einsamkeit betroffen. Den Handel als Ort der Begegnung und des menschlichen Austauschs zu definieren, macht vor diesen Hintergrund Sinn. Sinn macht es auch für die nicht so einsamen Mitglieder der Generation Z. Denn diese nutzt das Internet auch, um den passenden Laden für sich zu finden. Themen rund ums Kochen und Genießen eignen sich besonders für solche „menschelnde“ Konzepte. Das unterstreicht der Erfolg der Kochsendungen, die längst eine neue Dimension angenommen haben. Sie sind von Vorkochen zum Mitkochen umgeschwenkt, sprich die Teilnahme durch die Zuseher wird gelebt. Input und Fragen fließen unmittelbar in die Sendungen ein, werden konkret beantwortet. Aktive erlebnisorientierte Kundenpflege bleibt damit auch stationär das A&O. Die Erfahrung zeigt, dass eine gut gepflegte Community beispielsweise mit rund 300 Adressen je Eventabend 70 bis 100 kaufende Kunden in den Laden bringt.
Ins Berliner KaDeWe kann man nun auch nachts gehen – zumindest zum Essen. Denn die Gourmet-etage „Die Sechste“ ist dank neuem separaten Eingang bis Mitternacht geöffnet
Mutige Familien
Wie das funktioniert, führt in Düsseldorf ein Lebensmittelhändler der Edeka-Gruppe vor. Das Zurheide Center im Crown in Düsseldorf wurde vom HDE zum „Store of the year 2019“ gekürt: „Weil der Einkauf bei Zurheide ein Erlebnis ist, der Mix aus Sortiment, Eigenproduktion in Manufakturqualität, Gastroangebot und dezentem Ladendesign einzigartig ist“, begründet Carsten Schemberg, Geschäftsführer Theodor Schemberg Einrichtungen GmbH, in seiner Laudatio diese Entscheidung. Wie in vielen anderen Zukunftsbeispielen steht auch hinter Zurheide eine engagierte Unternehmerfamilie, die mutig und durchaus risikobereit ihre ganze Kraft in ihren „Laden“ steckt. Das ist auch das Erfolgsrezept von Familie Klammerth in Graz. Seit 1840 existiert das Fachgeschäft für Geschirr und Küche. Ein Traditionsbetrieb der Zukunft hat, weil Verantwortliche den Mut aufbringen, „manchmal mit der Tradition zu brechen“. Darum bietet Klammert noch immer die GPK- und Cookshop-Sortimente. Aber „was wir anbieten, geht weit über Tassen, Teller und Töpfe hinaus, weil hinter dem Tellerrand weit mehr als eine Tischplatte ist“.
In dem Braunschweiger Hofladen Papes Gemüsegarten lieben es Kunden jeden Alters und jeder sozialen Schicht stationär zu shoppen (Fotonachweis: ©Papes Gemüsegarten)
Wo es schmeckt, da ist Frequenz: Im Zurheide Erlebnis-Supermarkt eingebettet ist das Gourmet-Restaurant „Setzkasten“, das laut Gault&Millau zu den 1.000 besten deutschen Restaurants zählt (Fotonachweis: ©Zurheide / Sacha Perrone)
Menschliche Nähe
Es geht darum, die Gier nach dem Erlebniseinkauf zu stillen. So wie es die neuen Themenrestaurants, Boutique-Hotels, Pop-up-Stores, Showrooms usw. vormachen. Es ist kein Zufall, dass viele Marketingmittel der Industrie in den Gastronomiesektor fließen. Denn auf Gastronomiemessen finden Marken noch potente Abnehmer. Der Zweitnutzen für diese Investitionen: Das Equipment der In-Gastronomie holt sich mancher Gast auch gerne nach Hause.
Schaffen stationäre Geschäfte den notwendigen Schritt vom Produktvertrieb zum Medienkanal, der Erlebniseinkauf, Emotionen, Empfindungen, Wahrnehmungen und Eindrücke bietet, werden sie selbst in der Innenstadt nicht verschwinden. Denn das physische Einkaufserlebnis ist stärker und bleibt besser in Erinnerung als Online-Erlebnisse, ist das Beraterteam von „Zukunft des Einzelhandels“, Düsseldorf, überzeugt.
In einer Welt, die so emotionalisiert ist wie noch nie, werden Emotionen auch die Wirtschaft von morgen prägen, unterstreicht der Geschäftsführer des Zukunftsinstituts Henry Gatterer. Sein Rat: Gerade in Zeiten der digitalen Allround-Emotionalisierung wird menschliche Nähe als ehrlich wahrgenommen und akzeptiert. Darauf gründet übrigens auch das Erfolgsgeheimnis der Influencer. Selbst wenn diese nicht mehr als bezahlte Werbung für Produkte machen.
Hier geht was ab!
Heute sind die modernen Märkte ein „emotionales Zusatzgeschenk zum Einkauf, verrät Ladenbau- und Marketing-Experte Dr. Christian Mikunda. Der Begründer der strategischen Dramaturgie ist davon überzeugt, dass die Kunden von heute große Sehnsucht nach Hochgefühlen haben. Insgesamt sieben Hochgefühle hat er ausgemacht: Erhabenheit, Freude, Kraft, Raffinesse, Begierde, Entspannung und Verzückung. Und für mindestens zwei dieser Gefühle sollte eine verkaufsstarke Inszenierung bei den Kunden sorgen. Seine Lehre fand auch bei Kastner & Öhler in Graz Anklang. Das Unternehmen ist nicht nur einer der größten Modehändler Österreichs. Seit rund zehn Jahren verwöhnt das hauseigene Restaurant Paradiso seine Kunden mit italienischem Genuss. Gelegen im „Paradeishof“ verbindet das Restaurant die Mode- mit der Homeabteilung des Hauses. Der anerkennende Kommentar eines Herstellers: „Die Living-Abteilung ist richtig klasse gemacht: Hier geht was ab!“
Künftig geht auch im Berliner KaDeWe etwas ab. Denn seit Mitte Dezember macht ein neuer Nachtaufzug das Luxuskaufhaus zum Anziehungspunkt für Genießer. Ein Schritt, um die Zukunft des Kaufhauses zu sichern, so die Eigentümer. Dafür werden unter anderem die Wein- und Champagnerbars – wie der Spätkauf mit feinen KaDeWe-Artikeln – auch für die spätabendlichen Gäste geöffnet sein.
Eva Barth-Gillhaus
Strategiewechsel bei der Nummer 1: Ikea goes City. Nach Paris wird jetzt eine geeignete Fläche in Berlin gesucht (Fotonachweis: ©Inter IKEA Systems B.V.)