Die Pandemie hat vieles verändert. Um aus den verschiedenen einzelnen Stimmen ein Gesamtbild der Situation unserer Branche zu erhalten, hat der Göller Verlag in Kooperation mit dem Europäischen Verband Lifestyle und der EK/servicegroup eine Umfrage für den Handel und die Industrie erstellt.
Eine Umfrage kann in heutigen Zeiten nur eine Momentaufnahme sein. Dennoch erhält man ein spannendes Stimmungsbild, das in unserem Fall keinerlei Anspruch auf Repräsentativität erhebt, aber sicherlich zum Nachdenken und vor allen Dingen zur Diskussion anregt.
Wir bedanken uns sehr herzlich, dass sich insgesamt 199 Vertreter aus Industrie (43 Prozent) und Handel (57 Prozent) die Zeit genommen haben, etwas Licht in das Dunkel zu bringen. Es hat uns noch mehr gefreut, dass wir bei den Kommentaren, von denen wir eine Auswahl publizieren, mehrfach die Antwort „Carpe Diem“ fanden. Vermutlich ist das die richtige Einstellung. Geduld, Zuversicht und Kreativität sind gefragter denn je, da wir in unsicheren Zeiten leben und das ohne Kristallkugel.
Was geht?
Die Umfrage hatte ein breites Feld an Adressaten aus ganz verschiedenen Branchen. Viele Antworten bestätigen jedoch das, was wir in den Gesprächen mit den Verbänden, der Industrie und dem Handel gehört haben. Während die Industrie vor allen Dingen in den Bereichen Küche, Wohnen, Elektrogeräte, Outdoor in den Monaten März bis Oktober über dem Vorjahr liegt, zeichnet sich im Handel ein weniger positives Ergebnis ab, was möglicherweise damit zusammen hängt, dass Sortimente nicht über den stationären Fachhandel, sondern über Online-Plattformen verkauft wurden. Die deutlichsten Rückgänge verzeichneten nach Aussagen der Händler die Bereiche Geschenkartikel (man feiert nicht mehr und lädt nicht mehr ein) sowie Schmuck, Taschen und Accessoires (man geht nicht mehr aus). Gute Zuwächse erreichte man auch hier in den Cocooning-Sektoren: Homedeco, Wohnen und Küche.
Wie reagiert der Handel?
Wir alle haben es erlebt. Viele Händler sind in der Pandemie über sich hinausgewachsen und haben kreative Ideen entwickelt, um ihre Kunden zu erreichen. So verwundert es nicht, dass in der Befragung einige Händler davon berichten, neue Absatzwege gefunden zu haben. 35 Prozent haben in Sachen Online aufgerüstet, 22 Prozent einen Lieferdienst ins Leben gerufen, 26 Prozent neue Kooperationen geschlossen und 17 Prozent haben sich tatsächlich irgendetwas ganz Neues einfallen lassen.
Wie ist die Stimmung?
Gar nicht mal so schlecht, wenn es um das Hier und Jetzt geht: 89 Prozent der Antworten aus der Industrie berichten, dass die Geschäftslage als gut bis befriedigend empfunden wird, beim Handel sind es immerhin 72 Prozent.
Weniger optimistisch sind insbesondere beim Handel die Erwartungen an das nächste halbe Jahr. Während immer noch rund 76 Prozent der Industrie mit günstigeren oder gleichbleibenden Ergebnissen rechnet, sind es beim Handel nur noch knapp über die Hälfte.
Gibt es Produkte?
Möglicherweise hat der Handel auch neben allen Einschränkungen durch den „Lockdown Light“ mit einer anderen Problematik, nämlich der Warenverfügbarkeit zu kämpfen.
Während die Industrie angibt, dass 55 Prozent der Waren wie gewohnt verfügbar seien, spricht der Handel lediglich von 39 Prozent. Es bestätigt sich ein Problem, das nicht nur mit den Produktionsschwierigkeiten in außereuropäischen, aber auch europäischen Ländern, sondern auch mit der Mangelware „Container“ zu tun hat.
Was ist nun mit den Messen?
Das Thema Messen ist derzeit an Tragik kaum zu überbieten: Für November 2020 gilt in fast allen Ländern ein Messeverbot oder eine Teilnehmerzahlbeschränkung für Veranstaltungen. Trotz ausgefeilter Hygienekonzepte und erfolgreich durchgeführter Veranstaltungen, heißt es nun wieder: zurück auf Null. Wir alle wissen, dass das nicht nur die Messen an sich, sondern zahlreiche angrenzende Bereiche und die Gesamtwirtschaft vor große Herausforderungen stellt.
Aber: Messen werden auch in Zukunft gebraucht. Nur 18 Prozent der Industrie planen im Jahr 2021 nicht mehr auf Messen auszustellen und nur 20 Prozent des Handels gehen derzeit davon aus, keine Messen im nächsten Jahr besuchen zu wollen.
Und natürlich wollten wir wissen, was für den Handel die wichtigen Aspekte einer Messe sind: 94 Prozent aller Händler besuchen Messen wegen der neuen Produkte, 81 Prozent wegen der Inspiration, 67 Prozent für die Kontakte beziehungsweise die Netzwerke, 47 Prozent zum Ordern der Ware, aber nur 15 Prozent wegen der Nähe zum Wohnort. Damit ist der Messebesuch mit 72 Prozent für den Handel wichtiger als der Vertreterbesuch mit 54 Prozent und die B2B-Plattform mit 39 Prozent. Betrachtet man allerdings die Bereiche „sehr wichtig“ und „wichtig“ kumuliert, so kommen wir auf 99 Prozent bei den Messen, 88 Prozent beim Vertreterbesuch und 91 Prozent bei den B2B-Plattformen.
Auch bei der Industrie haben wir noch einmal etwas genauer nachgefragt. In Sachen Standgröße planen 70 Prozent der Aussteller ihre Standgröße auf den Messen nicht zu verändern, während 17 Prozent über eine Verkleinerung und 13 Prozent über eine Vergrößerung nachdenken.
Und dann interessierte uns natürlich, wie es mit dem Timing von Produktinnovationen aussieht. Immerhin 45 Prozent richten die Präsentation ihrer Neuheiten auf einen Messetermin aus. Auf die Frage, ob sie an dieser Strategie auch in Zukunft festhalten werden, antworteten 54 Prozent mit „Ja“, 16 Prozent mit „Nein“, während sich die übrigen 30 Prozent noch nicht sicher waren.
Und wie ist die allgemeine Stimmungslage?
Bei dieser Frage herrscht wieder ein bisschen mehr Einigkeit. Denn immerhin sind rund 38 Prozent von Industrie und Handel derzeit zuversichtlich. Auch hier gibt es bei der Industrie mit rund 21 Prozent mehr Optimisten als beim Handel mit rund acht Prozent. Dennoch verzeichnet man sowohl auf Seiten der Industrie mit 39 Prozent als auch auf Seiten des Handels mit 41 Prozent einige Bedenkenträger. Obwohl rund 10 Prozent des Handels die Lage als besorgniserregend empfinden, planen nur fünf Prozent der Händler, ihr Geschäft zu schließen, während 80 Prozent darüber nicht nachdenken und rund 15 Prozent diesbezüglich unentschlossen sind.
Und wann ist es vorbei?
Bei der Frage nach dem Ende der Pandemie herrscht, wie bei uns allen, große Uneinigkeit.
Als wir die Umfrage gestartet haben, gab es allerdings noch keine Nachricht in Sachen Impfstoff. Mit diesem Wissen, hoffen wir auf eine schnelle Rückkehr zu einer Normalität, die zunächst sicherlich nicht die alte sein wird. Hoffen wir, dass wir aus der Pandemie auch das eine oder andere gelernt haben. Wir schließen mit einem Kommentar eines Händlers, den wir als sehr wohltuend empfunden haben: „Die Pandemie hat verstärkt Gefühle von Rückbesinnung auf Tradition und Familienwerte zum Ausdruck gebracht, um die neue Generation, stark und selbstbewusst positiv in die Zukunft zu führen.“
Zukunft Messe?
von Dr. Johannes Berentzen, Leiter Konsumgüter & Handel bei Dr. Wieselhuber & Partner:
Messen sind die klassischen Kommunikationsplattformen im Wirtschaftsleben schlechthin. Sie sind Schaufenster für Trends und neue Produkte. Auf Messen bahnen sich Geschäfte an, vertrauensvolle Beziehungen werden geschaffen. Viele Messegesellschaften erwirtschafteten 2019 Rekordeinnahmen. Dann kam Corona: Lockdown, Messeabsagen und Veranstaltungsverbote.
Doch schon seit längerem befindet sich das Format Messe in einer Sinnkrise. Ein immer größerer Wettbewerb der Inszenierungen mit teilweise überbordendem Aufwand ist vielerorts zu beobachten. Dabei machen Stand und Miete nur gut die Hälfte der Kosten aus, hinzu kommt eine ganz erhebliche Reisetätigkeit – national wie international. Dies findet ökologisch wie ökonomisch immer weniger Akzeptanz. Gleiches gilt auch für die zum Teil aufwendig inszenierten Showrooms, die sich vor Corona einer enormen Beliebtheit erfreut haben.
Ausblick: Dr. Johannes Berentzen, Dr. Wieselhuber & Partner
Der Kostendruck nimmt in vielen Branchen zu, Reise- und Messebudgets werden reduziert, ausufernde Messepartys, die tendenziell schon vor Corona etwas zurückgegangen sind, fallen nun den Corona-Hygienemaßnahmen zum Opfer. Veranstalter wie Teilnehmer geraten unter Rechtfertigungsdruck: Messen gelten nicht mehr als unverzichtbar, Kosten, Nutzen und Notwendigkeit der Teilnahme werden geprüft. Große Player verzichten immer häufiger auf eine Messeteilnahme und inszenieren ihre Neuheiten lieber selbst. Digitale Formate greifen das etablierte Vor-Ort-Geschäft an. Gleichzeitig treten neue Veranstalter am Markt auf.
Jetzt, durch die weltweite Pandemie erschüttert, befindet sich die Messewirtschaft im völligen Umbruch. Auch Inhouse-Messen und Showrooms kommen auf den Prüfstand. Unternehmen und Messegesellschaften suchen derzeit nach neuen Lösungen. Dabei wird es sich sehr wahrscheinlich nicht nur kurzfristig um „hybride“ Lösungen handeln.
Doch wie erreichen sich Aussteller und Interessenten zukünftig? Was davon wird vor Ort und was virtuell stattfinden? Gibt es intelligente Hybridformate, die die Vorteile des persönlichen Austauschs und des persönlichen Erlebens mit neuen digitalen Formen verknüpfen? Eine Möglichkeit ist, dass Messen sich verstärkt zu Themen-Hubs und „digitalen Sendeanstalten“ transformieren. Die Pandemie fährt das Messegeschehen weltweit radikal herunter und erfordert komplett neue Hygienekonzepte. Daneben entwickeln sich digitale Formate mit rasender Geschwindigkeit.
Ein jetzt schon zu beobachtender Trend ist die „Premiumisierung“ von Messen. Der Charakter wird exklusiver (wer darf noch hin?), es wird mehr Erlebnis geboten und vor allem noch stärker inszeniert. Die Vorteile von Onlineformaten sollten zudem durch hybride Ergänzungen aufgehoben werden, indem zum Beispiel ein echter Mehrwert durch Leadgenerierung geschaffen wird, die Laufwege digital getrackt werden oder den Austellern Plattformen für digitale Messe-Previews geboten werden. Dann wird die physische Messe auch lange nach der Corona-Krise weiterhin ein Erfolgsmodell bleiben.
Denn eines hört man von allen Seiten: Die Sehnsucht nach persönlichem Zusammentreffen ist hoch, die Vorteile darin liegen auf der Hand. Die physische Messe bietet einen ungefilterten und authentischen Blick auf das Wirtschaftsgeschehen einer Branche. Auch Emotionen und Liveerlebnis haben vor Ort eine andere Qualität als zu Hause vor dem Bildschirm. Und besonders wichtig: Die Begegnungen sind vertrauensbildend, verbindlich und kulturverbindend. Digital ist dies alles nur schwer nachzuahmen.
www.wieselhuber.de/ZukunftMesse/