Es wird geformt, gebrannt, verziert, genutzt, vererbt oder zerschlagen. Porzellan zieht nicht nur seit Jahrhunderten die Menschheit in seinen Bann, sondern auch den Spiegel-Bestseller-Autor Tom Saller, der mit seinem aktuellen Roman „Ein neues Blau“ tief in die Welt der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin eintaucht.
Eigentlich ist Tom Saller Psychotherapeut. Wer nun in eine bestimmte Richtung denkt, liegt falsch. Denn der promovierte Mediziner ist nicht nur ein brillanter Beobachter der menschlichen Psyche, sondern auch ein exakter Erzähler historischer Gegebenheiten. Sein erster Roman „Wenn Martha tanzt“, der sich mit dem Bauhaus rund um Walter Gropius beschäftigt, eroberte auf Anhieb die Spiegel-Bestsellerliste. Ende August erscheint nun sein zweiter Roman: „Ein neues Blau“. Hauptdarsteller ist das Porzellan, präziser ausgedrückt das Porzellan der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) in Berlin, zeitlich bleiben wir in der Zeit des Bauhauses. Wir trafen den Autor in seiner Heimatstadt Wipperfürth zum Gespräch:
Erzählen Sie uns doch bitte etwas über Ihr neues Buch.
Das große Thema, das heißt der Überbau meines Romans „Ein neues Blau“ ist das Porzellan. Allerdings ist mir tatsächlich erst während des Schreibens klargeworden, dass sich dieses Material hervorragend als Analogie verwenden lässt. So wird der Herstellungsprozess des Porzellans symbolhaft zur Persönlichkeitsreifung des Menschen gesetzt: Es beginnt mit einem Klumpen Porzellanmasse. Dieser wird – wie auch der Mensch – geformt. Dann werden früh die Weichen gestellt: Die Porzellanmasse kann gedreht, gegossen oder geformt werden. Ein Teil wird zu Gebrauchsporzellan, der andere zum Luxusartikel und der dritte zum künstlerischen Unikat. Dann wird es gebrannt – oft sogar mehrfach – so wie auch wir Menschen verschiedene Prozesse durchlaufen, die uns prägen. Dazwischen kommen die Porzellanmaler, die es verzieren und damit sehr hübsch machen. Porzellan durchläuft nicht nur diese Prozesse, sondern ist immer auch ein Erinnerungsträger. Es wird weitergereicht und hat damit auch eine „Lebens“- Geschichte – das hat mich sehr fasziniert. Um diese Analogie – die ich aber niemals überstrapaziere – sichtbar zu machen, beginnen die großen Kapitel mit einem erfunden Fachtext, bei dem ich mich von der KPM habe inspirieren lassen. Das klingt sehr fachlich, passt aber zur Persönlichkeitsentwirklung.
Wie sind Sie auf die KPM Berlin gekommen?
Eigentlich wollte ich zunächst über Elly Beinhorn schreiben. Obwohl ich diese Frau sehr faszinierend finde, habe ich aber leider keinen Draht zu der Geschichte bekommen. Bei meinen Recherchen über das Bauhaus waren mir noch Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks im Zusammenhang mit dem thüringischen Dornburg im Gedächtnis geblieben. Durch Zufall bin ich dann bei meinen Elly Beinhorn-Recherchen auf den Flughafen Leipzig/Halle gestoßen, der in den 20er Jahren gebaut wurde. Dort bekam Marguerite Friedlaender den Auftrag, das Geschirr für die Gastronomie zu entwerfen. Hinzu kam ein weiterer Zufall: Ein Freund berichtete mir von einem Hotel in Berlin, das Jörg Woltmann, dem Inhaber von KPM Berlin gehört. Die Geschichte war geboren. Ich wandte mich an die Manufaktur und traf deren Archivarin, Claudia Tetzlaff. Das war ein großes Glück, denn sie weiß alles über Porzellan und ich bin mir sicher, dass ohne ihre Hilfe das Buch 50 Prozent schlechter geworden wäre.
Was für ein schöner Zufall. Welche Rolle spielt nun das Porzellan in Ihrem Roman?
Lili ist die Hauptprotagonistin des Buches. Sie arbeitet als Kindermädchen bei dem damaligen Direktor der KPM, Günther von Pechmann. Da in den 20er Jahren nur Männer Porzellan bemalen durften, wird das junge Mädchen an die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle geschickt, wo seit 1925 Marguerite Friedlaender als erste weibliche Töpfermeisterin Deutschlands die Leitung der Keramikabteilung übernommen hatte. Lili nimmt Abstand von der Malerei und widmet sich dem Werkstoff. Für die ältere Lili wird Porzellan aber noch einmal in Form einer magischen Schale von ganz besonderer Bedeutung sein. Die Inspiration dazu gaben mir die magischen Schalen aus Mesopotamien, die an den Türschwellen vergraben wurden und vielerlei Funktionen einnehmen konnten. In meinem Roman bedient sich ein Rabbi der jüdischen Geheimlehre Kabbala, um eine gewöhnliche KPM-Schale mit Beschwörungsformeln zu versehen – also reine Fantasie – aber spannend in der Wirkungsweise. Mehr möchte ich aber an dieser Stelle nicht verraten.
Tom Saller spricht über seinen neuen Roman
Die Vasen-Serie Halle und das Mokkaservice Halle‘sche Form von Marguerite Friedländer werden noch heute produziert. Das Halle’sche Dejeuner ist auf zehn Stück limitiert / Die Vase Halle, welche die Bauhaus-Schülerin für KPM Berlin entwarf
Dann sind wir gespannt, was sich hinter dieser Schale verbirgt. Nun kommen wir aber noch einmal zurück zu den Fakten. Was hat Sie an der KPM der zwanziger Jahre so fasziniert?
Der neue Direktor Günther von Pechmann hatte das Unternehmen übernommen, als es tief in den roten Zahlen steckte. Als Gründer der neuen Sammlung in München eilte ihm ein guter Ruf voraus. So holte er die KPM bereits in den 30er Jahren aus der Verlustzone, indem er das Thema Porzellan demokratisierte. Das heißt, er wollte erschwingliches Porzellan produzieren, das nicht nur den ganz Reichen vorbehalten war. Ein ambitioniertes Unterfangen, das aber auf fruchtbaren Boden fiel. Daneben widmete man sich dem Bereich des technischen Porzellans, welches für Krankenhäuser und Labore verwendet werden konnte. Die aktuelle Serie „Lab“ erinnert heute noch an diesen Teil der Geschichte.
Wie ging es dann weiter?
Leider so, wie es vielen Menschen ergangen ist. 1933 wurde zunächst Marguerite Friedlaender als Jüdin in Halle entlassen und emigrierte in die USA und auch meiner Romanfigur Lili wird dieses Schicksal nicht erspart bleiben. Günther von Pechmann, der mit einer Halbjüdin verheiratet war, konnte sich Dank der Unterstützung eines Staatssekretärs bis 1938 halten. So war es sein Verdienst, dass die KPM nicht von den Nationalsozialisten übernommen wurde.
Aber natürlich endet meine Geschichte nicht an dieser Stelle. Es gibt eine zweite zeitliche Ebene in den 80er Jahren, die mir besondere Freude bereitet hat, da ich sprachlich wieder zurück in meine Jugend versetzt wurde. Es gibt ein fulminantes Ende, dieses Mal ohne Explosion, Sie dürfen also gespannt sein.
www.ullstein-buchverlage.de
www.kpm-berlin.com
Kurzinterview Claudia Tetzlaff
Wie wichtig war Marguerite Friedlaender für die KPM?
Marguerite Friedlaender hatte schon Erfahrungen in den keramischen Werkstätten in Dornburg, dem Außenposten des Bauhauses in Weimar, gesammelt, als der Manufakturdirektor der KPM Günther von Pechmann sie damit beauftragt hat, Entwürfe für seriell zu fertigendes Gebrauchsgeschirr aus Porzellan zu entwickeln. Während sich die Erneuerung des Kunsthandwerks im Bauhaus im keramischen Bereich hauptsächlich auf Steingut beschränkte, fehlte eine adäquate künstlerische Neuinterpretation des Werkstoffes Porzellan. Marguerite Friedlaender hat es geschafft, für die KPM eine Konzentration auf die Form zu erreichen, ohne jedoch auf eine Oberflächengestaltung wie zum Beispiel die Ring- und Rillenreliefdekore zu verzichten. Ihr ist es zu verdanken, dass im Sinne des Bauhausgedankens gestaltetes Porzellan – das den Qualitätsanspruch manufaktureller Fertigung nicht verleugnet – in der Berliner Porzellan-Manufaktur in Serie hergestellt werden konnte.
Lassen sich auch in den heutigen Serien noch Einflüsse des Bauhauses feststellen?
In den 1930er Jahren entwarf zeitgleich mit Marguerite Friedlaender, Trude Petri das bis heute zeitlos-schöne Service Urbino und die universelle Serviceform Urania – mit Reliefschmuck als Form Arkadia und Feldblumenrelief auf Bord variierend. Auch das Berlin-Service – Enzo Mari und KPM-Werkstatt – von 1996 weckt Assoziationen zum Bauhaus mit seinen klar gegliederten, geometrischen Grundformen. Die am KPM-Laborporzellan orientierte LAB-Serie verkörpert ebenfalls den Anspruch funktionale Gestaltung und ästhetisch ansprechende handwerkliche Qualität miteinander zu verbinden.
Die Archivarin von KPM, Claudia Tetzlaff
Marguerite Friedlaender verleugnete nie ihre keramische Herkunft. Ihre Entwürfe wirken nicht konstruiert, sondern wie bei der Drehtechnik üblich, aufgezogen
Was sind die derzeitigen Anforderungen an das Design von Porzellan?
Seit mehr als 250 Jahren stellt die KPM Porzellan her, das zu allen Zeiten stilprägend und vorbildlich gestaltet war. Davon zeugen die Formen- und Dekorentwürfe namhafter Künstler und Bildhauer. Während jedoch noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts repräsentative Tafelservice für bis zu zwölf Personen mit einer Fülle spezieller Einzelteile von den Kunden gewünscht wurden, steht mit dem Wandel der Lebens- und Essgewohnheiten im 21. Jahrhundert die Multifunktionalität und Kombinierbarkeit der einzelnen Porzellane im Küchenbereich im Vordergrund. Individuelle Kundenwünsche in der Dekorgestaltung umzusetzen, ist der Manufaktur ein ebenso großes Anliegen, wie das Angebot traditioneller und historisch gewachsener Dekore aufrecht zu erhalten. Mit limitierten Porzellanobjekten wie der Bauhaus-Kollektion oder der Atelier-Edition gelingt der Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne.