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Stapeln – Ein Prinzip der Moderne

Die Ausstellung „Stapeln. Ein Prinzip der Moderne“ im Wilhelm Wagenfeld Haus erforscht das Phänomen „stapeln“ als Thema der Moderne. Trend&Style sprach darüber mit dem Raumpsychologen Uwe Linke, der Tipps zum Stapeln am POS parat hält.

Wild gestapelt: 1991 entwarf Tejo Remy „Chest of Drawers” aus alten Schubladen in neuem Gehäuse mit Gurt (Fotonachweis: Gerard van Hees / Droog, Amsterdam)

Wir stapeln täglich mehr oder weniger bewusst zahlreiche Dinge: Vorratsbehälter in der Küche, Ablagekörbe im Büro, Getränkekisten auf Europaletten, Stühle in Mehrzweckhallen, Bauklötze im Kinderzimmer und Geschirr oder Wäsche im Schrank – für jeden Bereich entwickelten die Gestalter im Verlauf des 20. Jahrhunderts neue Ideen, die nun in der Ausstellung „Stapeln. Ein Prinzip der Moderne“ im Wilhelm Wagenfeld Haus zu entdecken sind.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird so systematisch gestapelt, dass viele Bereiche des Lebens davon beeinflusst werden. Es ist eine erstaunlich anspruchsvolle Aufgabe, Objekte über-, neben- und ineinander zu stellen. Mit der Entwicklung neuer Produktionsweisen und Materialien wurden auch die technischen Voraussetzungen für das Stapeln geschaffen.
Den Ausgangspunkt fu?r die Ausstellung bildet das von Wilhelm Wagenfeld 1938/39 entworfene Kubus-Geschirr aus Pressglas. Es ist eines der frühesten Beispiele für stapelbares Industriedesign und verdeutlicht zugleich, dass das Stapelprinzip mehr bedeutet, als nur Dinge übereinanderzustellen. Diese Art, mit Raum umzugehen, ist eng mit zentralen Themen der Moderne verknüpft. Bis zum 20. Jahrhundert gab es nur vereinzelte Versuche, Alltagsobjekte zu stapeln. Dann ändern technische und gesellschaftliche Entwicklungen das Verhältnis zwischen Mensch und Objekt. In einer Gesellschaft, in der Raum, Zeit und Rohstoffe als knappe Ressourcen wahrgenommen werden, entsteht ein grundlegendes Bedürfnis nach platzsparenden und flexiblen Lösungen. Das Stapeln ist eine Strategie, die beide Anforderungen perfekt erfüllt.

Raumwunder Küche

Die Hausarbeit sollte ab den 1920ern rational geplant und effizient durchgeführt werden. Der Architekt Bruno Taut drückt es 1924 so aus: Bei der Hausarbeit muss die Frau „bei sich anfangen und so weit kommen, wie der Mann organisatorisch vielfach im Büro, in der Fabrik, in allen Berufen gekommen ist, in denen ein leichter und beweglicher Geist lebt.“ Das Stapeln spielt beim geforderten Neubeginn eine wichtige Rolle. In den immer kleiner werdenden Einbauküchen der Großstädte muss der Raum gut ausgenutzt werden. Das zeitgemäße Hausgerät hat schmucklos-sachliche Formen, ist flexibel einsetzbar und lässt sich platzsparend stapeln.

 

 

Unterwegs Essen

Die Industrialisierung verändert die Lebensweisen vieler Menschen. Massenverkehrsmittel wie Eisenbahn, Schiff und Flugzeug befördern immer mehr Menschen über immer größere Distanzen. Damit kein Reisender dabei auf das gewohnte Essen verzichten muss, werden zu Beginn des 20. Jahrhunderts Küchen auf kleinstem Raum eingerichtet. Hier sind platzsparende und robuste Geschirre von besonderer Bedeutung. Für Menschen, die ihren Lebensunterhalt inzwischen abseits des Wohnortes verdienen müssen, gehört die aus stapelbaren Elementen bestehende Lunchbox zum Arbeitsalltag. Der zunehmende Individualverkehr ermöglicht vielen Stadtbewohnern am Wochenende den Ausflug ins Grüne. Bald schon werden stapelbare Campinggeschirre aus leichten Materialien entworfen, die in jede Reisetasche passen: Das Essen ist mobil geworden.

Preisgekrönte Schubladenstapel „The Stack“ von Raw Edges aus dem Jahr 2008 (Fotonachweis: Peter Guenzel, Established & Sons, London)

Ausgestellt: Ausstellungsansicht „Stapel“ im Wilhelm Wagenfeld Haus (Fotonachweis: Foto: Wilhelm Wagenfeld Stiftung, Foto: Jens Weyers, Bremen)

Stapelbare Arbeitswelt

Eine Voraussetzung für das Stapelprinzip sind Standardisierungsprozesse, die sich im Zuge der Industrialisierung in immer mehr Bereichen durchsetzen. Nur wenn Produkte in ihren Maßen aufeinander abgestimmt werden, können sie effizient produziert, verteilt und gestapelt werden. Heute beweist jedes Transportschiff mit tausenden übereinandergestellten Frachtcontainern, wie Wirtschaftssysteme in einer globalisierten Welt interagieren. Und das Stapeln von standardisierten Raumeinheiten hat auch das Arbeitsumfeld verändert.

Spielend Stapeln

Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt der Pädagoge Friedrich Fröbel Bausteine aus geometrischen Grundformen. Er ist der Überzeugung, dass sich Kinder durch das Kombinieren und Stapeln von Steinen die Welt und deren Gesetzmäßigkeiten erschließen. Bis heute fehlen Bauklötze in kaum einem Kinderzimmer. Dass an vielen einflussreichen Kunsthochschulen Stapel-Spiele entwickelt werden, belegt die grundlegende Bedeutung des stapelbaren Bausteins für gestalterische Prozesse.

 

Flexibel Stapeln

Stapelstühle gehören heute zur Grundausstattung jedes Kongresszentrums und haben sich auch im privaten Haushalt durchgesetzt. Seit den späten 1960er Jahren werden die universalistischen Ansprüche der Moderne und ihr Glaube an standardisierte Systeme zunehmend kritisiert. Muss sich der Mensch an effiziente Systeme anpassen oder sollte es nicht umgekehrt sein? In der Ausstellung werden daher am Schluss zeitgenössische Designer und Künstler vorgestellt, die das Stapelprinzip zwar nutzen, aber zugleich mit dem ordnenden Zugriff der Moderne brechen.
www.wilhelm-wagenfeld-stiftung.de

Den Beistelltisch „FortyForty“ als stapelbares Würfelelement entwarf Ferdinand Kramer 1945 im Exil (Fotonachweis: Ingmar Kurth/e15, Frankfurt)

gefragt: Autor, Experte für Raumpsychologe und Speaker

3 Fragen an Raumpsychologe Uwe Linke

Was macht das Stapeln von Gegenständen bis hin zu Möbelstücken mit den Räumen?
>> Stapeln als vertikale Form der Reihung beschreibt die fast gotische Sehnsucht nach Höhe und Stärke. Im Raum wirken diese Türme einschüchternd und etwas aufregend, weil uns schlank+hoch eher Unruhe und Instabilität vermittelt. Es lässt eine gewisse Macht vermuten wie ein Wolkenkratzer. Und es ist eine rationale, weil vernünftige Art des Platzschaffens. << Gibt es einen direkten Bezug zwischen Ordnung und stapeln, beziehungsweise gibt es andere platzsparende Ordnungssysteme?
>> Stapeln funktioniert kaum mit runden oder amorphen Gegenständen und fordert eine Art Normierung, damit es gelingt. Das vermittelt Ordnung im Sinne eines festen Platzes, der dem Gegenstand zugewiesen wird. Will man den Gegenstand ganz unten im Stapel, werden die Nachteile sichtbar. Dafür wurde der Schubladenschrank erfunden. Er erfüllt das Prinzip des aufgeräumten Stapels und ist immer ordentlich, zumindest von außen. Das Stapeln braucht den Boden unter sich und verbraucht quasi die Fläche. Wandaufhängungen umgehen das. << Wie kann der Handel am POS das Konzept stapeln nutzen?
>> Stapel sind ästhetisch, weil man mit Farbe und Stapelmustern spielen kann. Der Stapel vermittelt auch eine aufgeräumte Fülle, die mich als Kunde eher zugreifen lässt als jede andere Form der Ablage. Pullover zu stapeln ist banal, aber gestapelte Tische, Leuchten oder scheinbar instabile Stapel sorgen für echte Hingucker. <<