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Multikanalstrategie – Parforceritt durch die Handelswellen

Fachhändler müssen sich dem Digitalisierungstrend öffnen, heißt es in Wirtschafts- und Handelskreisen. Doch nicht nur Ladengeschäfte haben es zukünftig immer schwerer, sondern auch reine Onlinehändler. Selbst die Multikanalstrategie muss genau bedacht sein.

Auf Orientierungskurs: Fachhändler müssen heute wie Surfer auf verschiedenen Wellen tanzen und dabei das Vorwärtskommen richtig einschätzen (Fotonachweis: Istockphoto.com/EpicStockMedia)

Fachhändlern geht es heute wie manchen Surfern: Was früher Spaß machte, erweist sich heute als Parforceritt durch die Wellen. Das Klima ist rauer geworden, und heute bekommen die Wellenreiter ihr Lebenselixier von allen Seiten um die Ohren geschlagen. Da fällt es nicht einfach, einen kühlen Kopf zu bewahren.
„Die Customer Journey wird den Handel der Zukunft bestimmen“, betont Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH). Diese vom geänderten Kundenverhalten initiierte Reise irritiert vor allem Fachhändler. Zunächst schreckte das IFH im vergangenen Spätsommer die deutsche Handelslandschaft mit einer Zukunftsprognose auf. Danach könnten in den nächsten fünf Jahren durch die weiter steigende Popularität von Onlinebestellungen bis zu 45.000 Ladengeschäfte von der Landkarte verschwinden und es damit jedem zehnten Laden an den Kragen gehen. Dieser Trend würde vor allem die kleinen Händler vor Ort betreffen.
Wenig später räumten die meisten Redner des 15. Deutschen Handelskongresses in Berlin den Ladengeschäften – unter bestimmten politischen, strategischen und technischen Rahmenbedingungen – gute Überlebenschancen ein. Am Horizont tauchte auch Hoffnung durch die Nachrichten auf, das sich das Flächenwachstum im stationären Handel trotz Digitalisierungstrend fortsetzt und große Onlineanbieter wie zum Beispiel Mymuesli oder Cyberport immer mehr Ladengeschäfte eröffnen. Laut Kölner EHI-Institut betreibt mittlerweile die Hälfte der 1.000 größten deutschen Webshop-Betreiber Ladengeschäfte, so dass diese Vorbilder auch zum Konkurrenzschreck mutieren. 

Zugleich wechselten sich die Meldungen ab, dass drei Viertel der deutschen Online-Händler – vor allem kleine Händler – ihre Waren ins Ausland verkaufen, aber auch jeder zweite deutsche Online-Käufer seine Artikel aus Preisgründen von ausländischen Webshops beziehen. Dieses Geschäftsmodell bekommt dann wieder eine große Schlagseite, glaubt man etwa einer IFH-Studie, wonach 90 Prozent der reinen Onlinehändler mittelfristig dicht machen werden.
„Nur Händler, die ihr Kerngeschäft um flexible Konzepte erweitern, haben zukünftig eine Chance“, diesen heutzutage oft gehörten Grundsatz erneuert Handelsexperte Hudetz. Er empfiehlt genauso wie andere Handelskenner in erster Linie kanalübergreifende Angebote. So spricht zum Beispiel Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE), aus Kundensicht davon, dass sich der Konsument beim Einkauf nahtlos zwischen Online- und Offline-Welt bewegen wolle: „Damit bestimmt er das Beziehungsgeflecht zwischen Produzenten, Lieferanten und Partnern.“
Den Kundenwunsch rückt zwar auch Kenneth Bengtsson, Präsident des europäischen Dachverbandes Euro Commerce in den Mittelpunkt, aber nicht um jeden Preis. Der Schwede mahnt auf dem 15. Deutschen Handelskongress: „Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere Kunden dort abholen, wo sie sind – das heißt aber nicht, dass wir ihnen blind hinterherlaufen.“

Bisher erfolgreich. Deutscher Ebay-Campus: starker und etablierter Partner (Fotonachweis: Ebay International AG)

Umstrittene Motivation

Und fast so wirkt ein Projekt, das bisher wie ein Leuchtturm in den deutschen Medien erschien: „Online City Wuppertal“ (OCW). Das vor zwei Jahren von der städtischen Wirtschaftsförderung ins Leben gerufene Pilotprojekt will es vor allem den kleinen stationären Händlern mit ihren begrenzten Kapazitäten ermöglichen, auch online präsent zu sein und die Online- und Offline-Welten miteinander zu verknüpfen. Auf der gemeinsamen OCW-Plattform bekommen Konsumenten, die überwiegend im Internet unterwegs sind und nicht (mehr) jede Ecke in ihrer Heimat kennen, einen Eindruck von jedem abgebildeten Ladengeschäft und die Möglichkeit, dort bestimmte Artikel zu ordern. Sie können die bestellte Ware noch am gleichen Tag dort abholen oder sich per Kurier anliefern lassen.
Ähnliche Initiativen und Online-Marktplätze wollen auf lokaler Ebene und in Kombination mit einem bundesweiten Netzwerk den Einkauf und das öffentliche Leben in den Zentren fördern (siehe Trend&Style 01/2016, Seite 28 bis 33). Die Herangehensweise und Erfolgschancen sind jedoch umstritten. Schließlich musste OCW nach dem Jahreswechsel einräumen, dass die günstigste Strömung – hier das Weihnachtsgeschäft – nicht für die eigenen Ziele genutzt werden konnte. Demnach sind bei den 60 beteiligten Anbietern in Wuppertal im Weihnachtsgeschäft lediglich 39 Online-Bestellungen eingegangen.
Dagegen ist ein anderes Musterprojekt, das 68 Kilometer entfernt ebenfalls in der Metropolregion Rhein-Ruhr liegt, rechtzeitig und sehr erfolgreich zum vierten Quartal 2015 gestartet: „Mönchengladbach bei Ebay“. Bei den 70 teilnehmenden Händlern des Online-Portals wären in den ersten hundert Tagen 32.000 Artikel zu einem Umsatzvolumen von mehr als einer Million Euro verkauft worden, heißt es beim Mitinitiator eWeb Research Center.
Wenn das Institut der Hochschule Niederrhein ins Spiel kommt, wird es trotz der offen liegenden Fakten mit einem objektiven Gesamturteil schwierig. Schließlich kritisiert der Institutsleiter, der Wirtschaftsprofessor und bundesweit bekannte E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann, öffentlich die kommunalen Versuche, die Innenstädte durch lokale Online-Marktplätze zu beleben: „Stadtväter, die das glauben, haben eine rosarote Brille auf und ignorieren die Realität.“

Entscheidender Grund

Wenngleich die Wirtschaftsförderung der Stadt Mönchengladbach (WFMG) bei dem Projekt am Niederrhein mit im Boot sitzt, gibt es in diesem Fall einen entscheidenden Grund für den Erfolg: Die Zusammenarbeit mit einem etablierten Online-Riesen. Während das OCW-Projekt gar nicht der von manchen Medien suggerierte Alleingang ist (im Gegenteil, es arbeitet eng mit den sich bundesweit ausbreitenden Netzwerken Atalanda und Buy Local zusammen), ist Mönchengladbach laut seiner Wirtschaftsförderer ohnehin „der erste Ort, mit dem Ebay in Deutschland ein lokales Kooperationsprojekt dieser Art startet.“
Die beiden Initiatoren von eWeb Research Center und WFMG sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Analyse der vorhandenen Marktplätze“, nach der „eine Zusammenarbeit mit eBay für Händler und Konsumenten aus Sicht des Projektteams die meisten Vorteile bringt“ und „einen echten Mehrwert gegenüber anderen Plattformen bietet“. Nach eigenen Angaben erhalten stationäre Händler Zugang zu einem Online- und mobilen Verkaufskanal und erreichen neben den Konsumenten in Mönchengladbach potenziell auch 17 Millionen aktive Ebay-Kunden in Deutschland. Somit profitieren sie von einer Online-Plattform, die hierzulande inklusive des Vorgängers Alando schon seit dem Jahr 1999 auf dem Markt ist und einige Jahre unangefochten den elektronischen Handel anführte.
Als Fazit ist festzuhalten: Im Meer widersprüchlicher Meldungen und Studien gilt es gerade für stationäre Fachhändler, kühlen Kopf zu bewahren, sich unbedingt dem Digitalisierungstrend zu öffnen und geeignete Partner zu suchen, mit denen innerhalb einer Multichannel-Strategie auf das stationäre Geschäft, Online-Bestellungen und kombinierte Vorteile aufmerksam gemacht wird. Der Partner kann auch eine branchenbezogene Verbundgruppe sein, deren Zentrale den einzelnen Mitgliedern viel Aufwand abnimmt und ihnen einen gemeinsamen Marktauftritt in Vertrieb und Marketing, den Austausch wertvoller Erfahrungen, Einkaufsvorteile sowie jede Menge Beratungs-, Zertifizierungs- und Verwaltungsservices bietet.
Arnd Westerdorf