Die Ozeane sind zu sauer, die CO2 Emissionen zu hoch, die Artenvielfalt bedroht, vier der neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten. Unsere Lebensgrundlage ist in akuter Gefahr und wir alle müssen umdenken, denn Nachhaltigkeit beginnt im Kopf. Wie kann die Psychologie dabei helfen, die Welt zu retten?
Die Neurowissenschaftlerin Maren Urner gibt spannende Antworten, die sich auf alle Lebensbereiche übertragen lassen.
„Veränderung geschieht nur, wenn wir selbst überzeugt davon sind, dass diese sinnvoll ist.“
Maren Urner
Am 3. Juli 2024 erklärte Neurowissenschaftlerin Maren Urner im Rahmen der Digital Academy der Konsumgütermessen Ambiente, Christmasworld, Creativworld der Messe Frankfurt „Warum Nachhaltigkeit immer im Kopf beginnt“ .
Dass wir überhaupt in dieser Notlage sind, habe, so die Bestseller-Autorin, damit zu tun, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten schlecht und zu abstrakt über den Klimawandel kommuniziert hätten. Seit der Flutkatastrophe im Ahrtal vor drei Jahren diskutieren wir anders darüber, so ihre These. Bilder von weit über eintausend Hitzetoten in Indien in diesem Jahr, erwecken mehr Emotionen als Zahlen oder Fakten. Das Magazin Forbes habe über eine Studie berichtet, die zeige, dass wir sechs mal mehr Geld bräuchten, um die Schäden, die durch den Klimawandel entstehen zu beheben, als wir benötigen würden um denselben noch aufzuhalten. Warum handeln wir entgegen besseren Wissens? „Wir haben Strukturen geschaffen, mit denen die Rechnung nicht mehr aufgeht. Kosten steigen und Gewinne sinken, aufgrund der Folgen unseres bisherigen Verhaltens“, meint Urner und zitiert ihren Kollegen Professor Niklas Höhne: „Das teuerste Szenario ist das, in dem wir keinen Klimaschutz mehr machen!“
Wir wissen, dass wir unsere eigene Grundlage zerstören und sogar noch die Geschwindigkeit erhöhen, Jahr für Jahr mehr CO2 ausstoßen (37,2 Gigatonnen CO2 waren es 2023). Das werde in der Psychologie als wahnsinnig beschrieben. Warum tun wir das? Die Neurowissenschaftlerin stellt fest, dass die Kurven, Zahlen und Fakten zum Klimanotfall bislang maximal unemotional transportiert wurden. Wenn wir dagegen emotionale Bilder, wie während der Ahrtalkatastrophe vermitteln, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir unser Verhalten ändern.
„Also es muss besser kommuniziert werden. Aber wie? Wenn wir so weiter machen wie bisher, haben wir bald zahlreiche planetare Kipppunkte erreicht. Da sollten wir schleunigst mal anfangen was zu verändern… wie bekommen wir das hin“, fragt Urner und erläutert: „Zuerst müssen wir uns deutlich vor Augen führen, was für unser Überleben wirklich wichtig ist. Es geht im Grunde auch ohne Geld und ohne Energie, allerdings nicht ohne Essen und Trinken. Wenn wir ehrlich sind, stellen wir fest: Die wichtigste Währung der Welt sind Kalorien, um unser Leben überhaupt zu ermöglichen. Wir können kaum länger als drei Tage ohne Wasser und Essen auskommen. Wir verdanken unsere Existenz der Tatsache, dass es noch Mutterboden und Regen gibt. Wie kommen wir jetzt dahin, das zu leben…und was ist die wichtigste Ressource, um diese wichtige Währung zu schützen? Unsere Aufmerksamkeit! Es wird am meisten Geld mit Aufmerksamkeit verdient (manche sprechen auch von Daten oder Zeit) aber es ist das gleiche gemeint: Worauf richten wir unsere Aufmerksamkeit? Ich möchte für folgende Frage sensibilisieren: Wie schaffen wir es, den Schalter umzuschalten, nämlich unsere wichtigste Ressource, das Klima zu schützen.“
Den vollständigen Vortrag können sich Interessierte online in der Mediathek anschauen unter:
Dynamisch denken!
Und hier bringt die Neurowissenschaftlerin das menschliche Gehirn ins Spiel. Jedes Gehirn sehe, so Urner, unterschiedlich aus und verändere sich ein Leben lang. Neue Erfahrungen und Lernen führen zu spontaner Hirnaktivität. Das Organ wandelt sich, ausgelöst durch Emotionen oder Kommunikation oder eben neue Erfahrungen. Die zentrale Frage laute nicht, wollen wir uns verändern, denn die Veränderung sei sowieso da, in jedem von uns. Die wichtigere Frage sei, wie wollen wir uns verändern? Steve de Shazer hat das prägnant zusammengefasst: Das Reden über Probleme schafft Probleme und das Sprechen über Lösungen führt zu Lösungen!
Elementar bleibe daher die Frage, ob wir als Mensch, Händler oder Unternehmer lösungsorientiert oder problemorientiert unterwegs seien? Maren Urner regt dazu an, das statische Denken hinter sich zu lassen (ich kann ja eh nichts ändern, global bin ich machtlos) und ein dynamisches Denken willkommen zu heißen und zu praktizieren. Die erste Zutat des dynamischen Denkens fragt nach dem Wofür anstelle Wogegen. Das Erfolgsrezept der Menschen liege darin, neue Dinge zu entwickeln und die Vorstellungskraft zu nutzen. „Innovationen sind der Kern des lösungsorientierten Ansatzes. Das Wofür-Denken versetzt uns in einen rauschhaften Zustand, der unser Leben verbessert. Die zweite Zutat betrifft die Angst. Oft haben wir Angst vor dem Fremden. Doch anstatt auf das Trennende zu schauen, sollten wir den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen: Was ist die eine Sache, die uns verbindet? So lasse sich minimales Vertrauen herstellen, das dazu führe, dass wir einander zuhören, mehr Geld in das Gegenüber investieren und einander vertrauen.
Neue Geschichten
Als dritte wichtige Zutat des Wofür steht ein neues Narrativ: „Wir müssen uns neue Geschichten erzählen angesichts des Klimanotfalls! Der Mensch ist nicht nur gruppenliebend, sondern auch Geschichten liebend. Sie kreieren Nähe, Halt und Unterstützung. Wir müssen uns neue Geschichten darüber erzählen, was normal und erfolgreich ist. Viele langjährige Studien ergaben, dass ein langes gesundes, glückliches Leben nicht Geld ausmache, sondern funktionierende soziale Beziehungen. Es geht immer um sozialen Austausch, um Anerkennung und Wertschätzung durch andere. Diese Geschichten müssten greifbar erzählt werden und dass wir soziale Wesen sind, die darauf aus sind, etwas Gutes in dieser Welt beizutragen, das schafft Veränderung!
„Wir haben den Klimanotfall –
also lasst uns entsprechend
reden & handeln!“
Wie kann man das ins Handeln umsetzen?
Maren Urner: Selbstwirksamkeit, bei sich selbst anfangen. Was sind meine Rollen? Wo bin ich wann wie unterwegs, wie kann ich dynamisch denken? Ab heute zum größeren Anteil im Wofür unterwegs sein und radikal ehrlich für die eigenen Werte und Überzeugungen eintreten…
Da gibt es häufig Widerstände, weil es oft einfacher ist, gegen etwas zu sein. Aber es ist unheimlich gewinnbringend, wenn Sie damit anfangen, wird das Umfeld erleichtert sein! Es werden sich Leute anschließen, Ressourcen orientiert steht bald im Vordergrund, was können wir beitragen! Das Wofür ist der praktischste und einfachste Ansatz
Wie können Verbraucher überzeugt werden nachhaltige Produkte zu kaufen?
Urner: Eine grüne Produkt-Linie kann nicht die Lösung sein. Auch zusätzliche nachhaltige Produkte sind nicht entscheidend. Das Ziel müsste vielmehr eine komplette Veränderung hin zu Kreislaufwirtschaft, zu Emissionsfreiheit etc. sein und nur noch gute sowie nachhaltige Produkte anzubieten, welche keinen Impact auf das Klima verursachen. Die eigene Lebensgrundlage gut behandeln ist teuer, das müssen wir radikal ehrlich kommunizieren und den Konsumenten ermuntern in die eigene Zukunft zu investieren. Da gibt es ja bereits Beispiele in Supermärkten, die den Kunden mitteilen, was das Stück Käse eigentlich kosten würde, wenn der „echte“ Preis verlangt werden würde. Es reichen bereits drei Prozent der Bevölkerung aus, um einen sozialen Kipppunkt zu erreichen (das lässt sich an großen friedlichen Umwälzungen zum Beispiel Einführung Frauenwahlrecht feststellen). Es lohnt sich also, sich auf diese drei Prozent zu konzentrieren!
Wie geht man mit Klima-Leugnern um?
Urner: Klimakrisen leugnen ist für mich eins der traurigsten Beispiele dafür wie unser Gehirn eben auch funktioniert. Ein faszinierendes Organ und ein frustrierendes. Welche Mechanismen werden aktiv, wenn die Geschichte, die wir uns über uns erzählen, gefährdet wird, von einem Narrativ von außen… was passiert wenn Menschen meine Identität anzweifeln? Es wird noch größeren Widerstand gegen Fakten und Beweislagen geben. Kein Klimaleugner lässt sich mit Fakten überzeugen nur ein emotionaler Zugang kann helfen. Emotionen sind die Türoffner dafür. Und Vertrauen. Nur wenn eine Person, der ich vertraue, mein Weltbild radikal infrage stellt, werde ich es gegebenenfalls hinterfragen.
Es ist jedoch so viel wichtiger sich auf die große Mehrheit der Menschen zu konzentrieren, die es verstanden haben. Das sind weltweit über 80 Prozent! Verschwenden Sie daher nicht zu viel Zeit auf wenige Leugner, sondern konzentrieren sich auf diejenigen, die sagen ja ich will, aber ich weiß nicht wie und senden sie das Dafür und versuchen Sie, auf kommunaler Ebene Strukturen zu verändern, ein schönes Beispiel gibt die sechs teilige Doku-Reihe von Lars Jessen „Wir können auch anders!“ In der ARD Mediathek.
Auch bei den Konsumgütermessen steht das Thema Nachhaltigkeit im Fokus. Es wird auch 2025 Vorträge dazu geben und im Ethical Style Programm werden kuratierte, nachhaltige Aussteller ausgewiesen.
„Wir sind darauf aus, etwas Gutes in der Welt zu schaffen“
Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und seit September 2024 Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster und Studiengangsleiterin des neuen Masterstudiengangs Nachhaltige Transformationsgestaltung. Sie studierte Kognitions- und Neurowissenschaften, unter anderen an der McGill University in Montreal, und wurde am University College London in Neurowissenschaften promoviert. 2016 gründete sie das erste werbefreie Online-Magazin „Perspective Daily“ für Konstruktiven Journalismus mit. Sie leitete die Redaktion bis März 2019 als Chefredakteurin und war Geschäftsführerin. Nach ihrer Zeit bei Perspective Daily lehrte sie bis August 2024 als Professorin für Medienpsychologie an der Media University of Applied Sciences in Köln (ehemals HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft). Seit September 2020 ist sie Kolumnistin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre drei Bücher „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ (Droemer 2019), „Raus aus der ewigen Dauerkrise“ (Droemer 2021) und „Radikal emotional: Wie Gefühle Politik machen“ (Droemer 2024) sind Spiegel-Bestseller. Sie ist Preisträgerin des B.A.U.M. Umwelt- und Nachhaltigkeitspreises 2023 in der Kategorie Wissenschaft.