Mann/Frau: Die Unterschiede arbeiten gleichnamige TV-Serien, Wörterbücher oder Ratgeber mehr oder weniger ernst auf. Evolutionäre Muster lassen sich nicht verleugnen, ändern sich aber deutlich – auch im Küchenbereich.
Moderne Vorstellung: Mann und Frau auf Augenhöhe in der Küche (Foto: AMK e.V.)
Der Mensch ist nach gängiger Lesart in die Geschlechter Mann und Frau unterteilt, die mitsamt ihren Rollenbildern in den biblischen Gestalten Adam und Eva verkörpert sind. Neben physischen und soziokulturellen Abweichungen macht eher die Gebärfähigkeit der Frau den wesentlichen Unterschied aus.
Scheinbar sind die tradierten Unterschiede durch die Evolution, sprich:durch das Fortentwickeln und Anpassen des Menschen an die Lebensräume, geprägt. So werden allgemein das angeblich bessere räumliche Verständnis des Mannes mit dem Vorteil des Überblicks als Jäger sowie die häuslichen Qualitäten und Nestwärme der Frau mit der Rolle als Hüterin des Feuers erklärt.
Diese These dürfte auf den ersten Blick auch die unterschiedliche Wahrnehmung von Farben erklären, wie sie eine aktuelle Marketingstudie von You Gov Deutschland herausgefunden hat. Die Marktforscher analysierten mit Blick auf die Geschlechter zum Beispiel, dass Rot auf Frauen häufiger leidenschaftlich als auf Männer wirkt und Männer diesen Farbton eher als gefährlich wahrnehmen. Laut der Studie steht die Farbe des Feuers auch für Aggressionen, so dass sich fast schon der buchstäbliche Vergleich mit dem „rot sehen“ oder dem „roten Tuch“ etwa bei Stierkämpfen aufzwingt. Deshalb scheinen Küchenfronten oftmals in einem abgemilderten, dunkelroten Farbton zu sein.
Der Weg in neue Territorien
Doch die teilweise knappen Umfragemehrheiten bei bestimmten Aussagen zeigen, dass Frau und Mann nicht soweit voneinander entfernt sind, wie gemeinhin suggeriert wird. So zeigt sich bei einer anderen Verbraucherumfrage von You Gov Deutschland zu den beliebtesten Marken, dem ‚YouGov BrandIndex Women’s Ranking’, dass die Interessen des weiblichen Geschlechts durchaus dem üblichen Klischee widersprechen. Bei dem Top-Ten-Ranking zeigte das weibliche Geschlecht eine unschlagbar hohe Affinität zu und Sympathie für den Minibaustein-Hersteller Lego. Abgeschlagen reihten sich dahinter zwei Drogeriemarktketten, ein Hautpflege-Anbieter, ein Möbelhaus mit großem Accessoires- und Dekorationssortiment sowie zwei Hausgerätehersteller ein.
Autor Carsten Otte: Die neue Sorte Mann denkt fast immer nur an das Eine (Foto: Hartmuth Schröder, Frankfurt/Main)
AMK-Geschäftsführer Volker Irle: elektrisches Spielzeug und heimelige Accessoires ergänzen sich (Foto: AMK e.V.)
Ebenso überraschend mag eine dritte Studie der Marktforscher sein, wonach fußballinteressierte Frauen relativ jung, lebenslustig und ausgabefreudig sind. Und dass sie – auf jeweils zehn Fußballfans kommen statistisch gesehen sechs Männer und vier Frauen – deutsche Unternehmen beziehungsweise „Made in Germany“ favorisieren. Also aufgepasst, Anbieter und Hersteller von Küchen und Küchenaccessoires hierzulande! Schließlich heißt es in der Studie noch, dass die weiblichen Fußballfans „häufiger gerne für sich und andere kochen.“
Bestätigt diese Erkenntnis nun doch wieder ein Klischee oder fordert es die traditionelle Rolle des Mannes als Ernährer der Familie heraus, der nun ein „Territorium“ beim Kochen in der Küche oder Grillen im Garten sucht und findet? Das ist die Frage auch beim jungen Begriff des „gastrosexuellen Mannes“, den der Autor Carsten Otte in seinem gleichnamigen „Lehrbuch des Maskulinen“ geprägt hat: „Es gibt eine neue Sorte Mann. Und die denkt fast immer nur an das Eine: Kochen. Die Leidenschaft des gastrosexuellen Mannes erwacht nicht unterm Auto, sondern in der Küche.“
Demnach investieren Männer wie Otte „in ausgefallenes Kochwerkzeug, outen sich als Brotschnüffler und stecken ein Vermögen in Lebensmittel, weil ihre neue Geliebte ja nun mal die Eismaschine ist.“ Vorbild ist die deutliche Dominanz von Köchen gegenüber den wenigen Köchinnen in Kochfernsehsendungen und somit in der breiten Öffentlichkeit.
Was ist männlich?
„Was früher das Wissen über den Viertaktmotor anging, wird das technische Interesse nun eben auf Induktionsfelder, Sous-Vide-Garer und Doppel-Langschlitz-Toaster im Porsche-Design verlegt“, behauptet die Küchenexpertin Susanne Scheffer. Apropos Porsche Design: Die Designschmiede und der Luxusküchenhersteller Poggenpohl haben nun nach zwölf Jahren ihre Kooperation verlängert. Gemeinsam hätten sie im Jahr 2007 die „ikonische Küche P´7340“ entwickelt, heißt es unisono: „Ein einzigartiges Konzept, das durch die exklusive Rahmenkonstruktion aus Aluminium einen Meilenstein im Küchendesign setzte. Mit der P´7350 führten Porsche Design und Poggenpohl 2014 ihre erfolgreiche Kooperation fort.“ Beide Partner bekunden, die Küchenlinie fortzusetzen – allerdings ist inzwischen nicht mehr wie am Anfang der Zusammenarbeit die Rede davon, dass sie sich „speziell an männliche Kunden wenden“ soll. Der Erfolg scheint aber die ursprüngliche Zielgruppenansprache zu bestätigen.
„Um heutige Männer zu verstehen, sollte man sich mit Heroismus befassen. Mut und Tatendrang sind hohe Werte, an denen viele scheitern. Wir brauchen ein neues Idealbild“, erläutert ein Bericht im ’Hohe Luft Magazin’ aus dem Sommer 2019. Chefredakteur Thomas Vašek und die stellvertretende Chefredakteurin Rebekka Reinhard sehen das ursprünglich „Komplementäre“, sich gut Ergänzende, von Mann und Frau durch Viehzucht, Ackerbau und den daraus resultierenden Besitzansprüchen des nunmehr „starken Geschlechts“ ersetzt. Nach der athenischen Demokratie des 5. vorchristlichen Jahrhunderts sei das Patriachat zum Standardfall geworden, behaupten die beiden Philosophen: „Mann und Frau drifteten in zwei verschiedene hierarchisch getrennte Sphären auseinander. Der Mann in die Sphäre der Technik, der Ratio, der Souveränität, die Frau in die der Sorge, der Emotion, der Abhängigkeit.“
Diese geschlechterbinären Grenzen hätten sich durch das Erobern neuer Kontinente, Erschließen neuer Märkte und durch den Wandel von einem religiösen zu einem naturwissenschaftlich geprägten Weltbild verhärtet und seien erst durch das Zeitalter der Industrialisierung aufgebrochen worden, indem die Fabrikarbeit die Männerherrschaft zu einer strukturell unheroischen, langweiligen Angelegenheit deformiert hätte, so das Autorenduo.
Küche P´7350“: erfolgreiche Kooperation von Poggenpohl und Porsche Design (Foto: Porsche Design)
Die moderne Frau
Die Digitalisierung habe diesen Prozess noch verschärft, sodass der einstige Herkules zum Büromanager verkommen sei, der neue Riten suche und dessen „Krawattenknoten der Verknotung seiner Gefühlswelt“ entsprechen würde. „Alle Männer wollen Helden sein – denn Männlichkeit ,ist’ nicht. Sie muss durch bestimmte Akte, Mutproben, Prüfungen, Grenzerfahrungen immer neu veri?ziert werden“, behaupten die beiden Autoren. Schließlich erwarte die moderne Frau „einen leistungsstarken, souveränen, gut verdienenden Mann, den sie nicht lange bitten muss“ und der auch Pausenbrote für die Kinder schmieren soll. Dieser „vernünftige Held auf Augenhöhe“ sei aber die Quadratur des Kreises, bilanziert der Bericht und fordert „das Ideal eines gereiften Achill“, der mit Kopf, Herz und weichen Eigenschaften agiert und dennoch männlich und mutig bleibt.
Und so sind doch noch archaische Muster verborgen, wie die Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche (AMK) feststellt. So bevorzugten Männer eine hypermoderne Küchentechnik und viele elektrische Küchengeräte, möglichst mit einer App steuerbar sowie eine zurückhaltend-schlichte Einrichtung. „Diese Reduktion auf das Wesentliche ist vielen Männern nicht bewusst, denn sie haben einfach keine wohnlich machenden Dekorationen im eigenen Fokus“, weiß Volker Irle, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche e.V. (AMK).
Frauen hingegen würden eine solche Reduktion oft als Leere und sie für kühl und ungemütlich halten. „Sie wissen instinktiv, dass für eine entspannte Kommunikation eine angenehme Umgebung förderlich ist. Für Frauen gehören frische Kräuter und Farben genauso in die Küche wie atmosphärisches Licht und Gegenstände und Utensilien, die die Sinne und Gefühle ansprechen“, sagt Volker Irle. Sie würden moderne Küchentechnik eben nur als einen Bestandteil der Küche ansehen und bei der eigentlichen Küchenarbeit auch gerne improvisieren. Sie benötigten daher oft keine spezifischen Küchentools für alle nur erdenklichen Zwecke und verzichteten eher auf den elektrischen Dosenöffner, die elek-trische Zitronenpresse oder den strombetriebenen Turbogrill für Steaks, so der AMK-Geschäftsführer. Männer hingegen seien fasziniert von derlei Technik. Bei den Apps, etwa zum Starten einer Kaffeemaschine oder zur Kontrolle von Garvorgängen im Backofen, würden viele Frauen lächeln, während Männer auch von unterwegs entzückt auf ihre Mobilphones starrten.
„Beim Zusammenleben gleichen sich typisch männlicher Geschmack und typisch weiblicher Geschmack meist von selbst an. Männlicher Einrichtungsstil wird mit weiblichem vermischt und umgekehrt, sodass es beiden Geschlechtern in der gemeinsamen Wohnung und Küche gut gefällt“, konstatiert der AMK, der beiderseitige Toleranz als Knackpunkt sieht: „Frauen gestatten ihrem Liebsten das ein oder andere ,elektrische Spielzeug, und Männer wiederum dulden die heimelig machenden Dekorationen.“
Ernst werde es erst beim Thema Essen, was neue Studien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bestätigten. Demnach essen Frauen mehr Obst und Männer mehr Fleisch. „Hier ist ein gewisses Konfliktpotenzial vorhanden, dessen Ursprung wohl aus archaischen Zeiten stammt, als Männer wegen ihrer stärkeren körperlichen Beanspruchung noch mehr energiereiches Protein zum Überleben brauchten“, so der AMK. Aber das Ernährungsverhalten ändert sich derzeit allgemein in Richtung Obst, Gemüse, Milchprodukte und nichttierische Lebensmittel.
Arnd Westerdorf
Philosophin Rebekka Reinhard: Ideal eines gereiften Achill (Foto: Vera de Kok/ de.wikipedia.org)