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POS 2018: Irgendwann ist Kuscheln angesagt

Sie sind die neuen Kunden. Sie wohnen in der ersten eigenen „Bude“, bauen bereits ihr Nest und verdienen teilweise richtig gutes Geld. Die neuen Generationen, die vor allem eines unterscheidet: Sie sind als digital Natives aufgewachsen, was das Leben, Arbeiten, Einkaufen der Generationen Y, Z und Alpha grundlegend verändert und stationären Konzepten neue Chancen eröffnet.

Digital für die Emotionalisierung – Intersport testet in Pilotläden, wie viel Digitales Kunden wirklich wollen. (Foto: Intersport)

Bis 2025, also in rund acht Jahren, wird die Generation Y, die sogenannten Millennials, für rund 40 Prozent der globalen Umsätze im Luxusgütermarkt sorgen, erinnert die „The Millennial State of Mind”-Studie, die gemeinsam von der Managementberatung Bain & Company und der Luxusmodeplattform Farfetch veröffentlicht wurde. Doch nicht nur das Hochpreissegment sollte sich um diese Generation kümmern. Denn die Millennials, die je nach Einordnung zwischen 1980 und 1995 oder zwischen 1980 und 2000 geboren wurden, sind eine attraktive Zielgruppe für alle Living-Anbieter. Allerdings stellen sie neue Anforderungen an den Handel. Denn die Ypsiloner kennen vor allem sich selbst, Lebensziele und Sinnfindung sind ihr Maßstab, und der Job muss auf jeden Fall der eigenen Selbstverwirklichung dienen. Streben nach sofortiger Befriedigung ihrer Wünsche, Bedürfnisse und Ziele sind angesagt. Damit könnte der stationäre Handel durchaus aufwarten, doch die traditionellen Konzepte funktionieren nicht.
Besser machen es die digitalisierten Kollegen, die den jüngeren Kunden die „große Freiheit“ beim Einkaufen beziehungsweise Wünsche-Erfüllen bieten. Ein Beispiel: das Bezahlen per App. Dabei macht das Smartphone das Portemonnaie überflüssig und erspart zudem das zeitraubende Anstellen an der Kasse. Das kommt an, verkündet zum Beispiel Wirecard, dessen mobile Bezahllösung „boon“ die erste voll digitalisierte Lösung sei, die unabhängig von Banken und Netzbetreibern funktioniert. Sie wird überwiegend (94 Prozent) von einer männlichen Zielgruppe im Alter von 33 Jahren genutzt.

Für Stefan Drude, Absolutweb, Köln, auf dessen Referenzliste unter anderem Kunden wie Leonardo, Deichmann, Fila oder Metro stehen, ist gerade die Bequemlichkeit, die das Online-Shoppen mit sich bringt, der Wettbewerbsvorteil, wenn nicht sogar das K.O.-Kriterium der Onliner. Tatsächlich haben die digital Natives das Warten nicht mehr gelernt, erinnert Marina Mangelsdorf in ihrem Buch „Vom Babyboomer bis Generation Z“. Virtuelle Welten und soziale Netzwerke sind die Pfeiler, die Leben und Einkäufe der neuen Generationen mit- bestimmen und massiv beeinflussen.
Noch stärker als bei der Generation Y wirkt der digitale Einfluss auf die schon medienabhängige Generation Z. Geboren zwischen 1996 und 2011 (2000 bis 2015), in relativem Wohlstand als Kronprinzen und -Prinzessinnen aufgewachsen, sind die Vertreter dieser Altersgruppe rundherum verwöhnt. Aber die weltweiten Konflikte und Krisen machen sie sensibel für den sicheren Hafen einer wie auch immer strukturierten Familie. Damit verbunden sind Werte und Wünsche, die für die Branche durchaus interessant sind. So stellte die Mc Donald’s Ausbildungsstudie 2013 unter anderem fest, dass Beruf, Familie und Gesundheit für die Generation Z wichtige Werte sind.

Überraschung pro Quadratmeter im ersten Tchibo X-Mas Pop-Up-Store in Hamburg (Foto: Tchibo)

Stationär muss sich wandeln

Aber wie gewinnt ein stationärer Händler die Zielgruppe(n), für die das Smartphone quasi die Verlängerung des Armes ist? Stefan Laban, Global Head of international des US-Filialist Urban Outfitters, hat seine 18- bis 25-jährige Kundenklientel sehr genau im Blick. In den USA lautet seine Strategie „mobile first“, während die Expansion des Unternehmens nach Europa mit stationären Visitenkarten angekurbelt wird: mit Concept Stores, die sich ständig erneuern. Damit gibt er einen wichtigen Hinweis. Moderne stationäre Konzepte müssen sich wandeln. Dann haben sie mehr Chancen denn je. Davon ist kein geringerer als Achim Fringes überzeugt, der mit seiner Neuromerchandising Group, Frankfurt, über tiefe Einblicke in das Kaufverhalten verfügt. Sein Wissen gereicht sogar zum Trost: Zwar entsteht der Eindruck, dass die Jugend ständig aufs Smartphone oder in den Computer guckt, doch Fringes ist fest davon überzeugt, dass auch diese Generationen sinnliche Erfahrungen suchen. „Schließlich will ein junger Mann auch heute nicht seine Freundin auf dem Bildschirm abknutschen. Irgendwann ist Kuscheln angesagt.“ Das bestätigt einmal mehr die KPMG-Studie „Trends im Handel 2025“, nach der es für drei Viertel der Konsumenten auch in Zukunft wichtig ist, direkt und persönlich im Laden einkaufen zu können.
Doch es wird anderes gesucht. Das macht der Blick in die Zukunft des Wohnens für die nachwachsenden Konsumenten überdeutlich. Das „The Collective“, ein Londoner Hochhaus, ist auf die Zielgruppe der Millennials zugeschnitten. Hier wird berücksichtigt, dass diese Generation kein Interesse an materiellem Besitz und langfristigen Mietverträgen hat. Dass sie zum Teil mit Mikro-Wohnungen auskommt, die nicht größer als zehn Quadratmeter sind. Aber allen gemeinsam stehen über 1.100 Quadratmeter Gemeinschaftsfläche zur Verfügung, auf der Bewohner und Freunde Gemeinschaft leben können.
Für dieses ballastfreie Leben der Millennials hat Otto einen Test gestartet, um im Zeitalter der Digitalisierung zu überleben. Otto setzt dafür auf den Trend der Sharing Economy. Bei „Otto now“ müssen Kunden nicht kaufen, sondern können TV, Elektrogroßgeräte oder Kaffeevollautomaten und E-Bikes mieten. Innovationen sind also auch im interaktiven Handel das Gebot der neuen Generationen.

Mobile-Payment ist jung: Das Durchschnittsalter der „boon“-Nutzer liegt bei 33 Jahren, 94 Prozent sind männlich (Foto: Wirecard)

Im Pop-up-Store in Zürich setzte Ikea mit Einrichtungs- oder Deko-Kursen auf den Trend zur Pädagogik (Foto: Ikea)

Psychologischer Mehrwert

Erlebnis und Emotionalisierung lauten die entsprechenden Ratschläge für die stationären Kollegen. Zu psychologischem Mehrwert rät Diplom Psychologe Stephan Grünewald vom Rheingold Institut, Köln, der in der zunehmend digitalisierten Welt neben dem guten Sortiment die Zukunft des stationären Handels sichert: Eine in sich stimmige Erlebniswelt, in der Kunden gern ihre Zeit verbringen ist der Trumpf gegen das Bequemlichkeits-Argument des Online-Shoppings. „Für viele Verbraucher ist der Einkauf im stationären Handel immer noch ein bedeutungsvolles und wichtiges Ritual“, so Stephan Grünewald. Denn im Laden erleben Kunden soziale Nähe, hier können sie riechen, sehen oder anfassen. Vor allem erleben sich die Menschen im Handel noch als Handelnde, als Jäger und Sammler. Das schaffe eine Art Werkstolz, was keine Bestellung im Internet leisten könne.
Ein Urtrieb, der auch den jungen Generationen keineswegs fremd ist. Packen es stationäre Händler in diesem Sinne richtig an, dann können sie sich sogar über lange Schlangen vor der Türe freuen. Das ist zum Beispiel bei den Sneakerläden von „Solebox“ der Fall, die an jedem Standort ein Shopping Erlebnis der anderen Art bieten. Interessanterweise müssen sie das sogar, um von den angesagtesten Trendlabels der Branche berücksichtig zu werden. Schließlich, so rechnet man auch bei Tommy Hilfinger, wird der Return of Investment künftig nicht mehr in Quadratmeter-Umsätzen berechnet, sondern in Überraschungen und Aufregung pro Quadratmeter.
Auch diese angesagten Läden profitieren dabei davon, dass das Internet in die Kaufentscheidung einfließt. Schon heute finden laut Bain-Studie rund 70 Prozent aller Käufe weltweit in Interaktion mit dem Internet statt. Diese Kunden haben also vor ihrer Kaufentscheidung mindestens die Webseite besucht. Darüber hinaus tauschen sich Jüngere online mit Gleichaltrigen über begehrte Labels aus, holen deren Meinung ein. Das gilt für Produkte genauso wie für Geschäfte und Locations.

Lernen ist Trend

Spannend muss es sein, dann trifft man sich dort. Ein Trend, der nicht zufällig vom Aufkommen der Pop-up-Stores und Pop-up-Outlets begleitet wird. Auch in der Living-Branche gibt es diese Läden auf Zeit. So eröffnete der erste H&M Home als „LABstore“ sprich temporäres Geschäft am 23. November in München. Und von Mitte November bis Heiligabend konnten die Hamburger auf der Mönckebergstraße im ersten temporären Tchibo X-Mas Pop-up-Store in weihnachtlicher Atmosphäre shoppen. Ebenfalls mit einem Pop-up-Store rückte Ikea in die Innenstadt von Zürich vor und setzt mit Einrichtungs- oder Deko-Kursen für das Erlebniskonzept des Ladens auf den Trend zur Pädagogik.

Schließlich steigt in Sachen Produktinformationen das Vertrauen in den Handel wieder an. In München macht sich für manchen Living-Kollegen im Fachhandel der erste Westwing Pop-up-Store bemerkbar. Wie auch andere Onliner hofft Westwing auf stationäre Erlebnisse, bietet sich mit dem Zusammenspiel von Showroom und Onlinehandel den neuen Zielgruppen als Treffpunkt – social stores – an.
Seinen Zielgruppen sicher, ist man bei Apple, bleibt dennoch auf der Hut. So plant die Kultmarke, die eigenen Läden zu Begegnungsorten für Konsumenten auszubauen. Zumindest in den größten Städten werden Workshops, Kurse rund um Handy-Nutzung/-Programmierung oder Musik-Erlebnisse angeboten. Da wundert es wenig, dass auch für Zalando das Erlebnis an oberste Stelle rutscht. Für 2018 wird unter anderem die Shop-Oberfläche überarbeitet, um den Kunden mit „Next Gen“ ein völlig neues Erlebnis zu ermöglichen, kündigt Zalando Co-CEO Rubin Ritter an.
Erlebnis aber bleibt in erste Linie eine sinnliche Angelegenheit, und dabei spielt der Magen eine nicht unerhebliche Rolle. GfK-Konsumexperten Wolfgang Adlwarth sagt in einem Interview sogar, dass Essen sexier als Mode sei. Zustimmung kommt von einer von der ECE beauftragten TNS-Infratest-Studie, nach der etwa 40 Prozent einen Center nach dem Essensangebot auswählen. Mit Gastro gegen den Online-Wettbewerber punkten, darauf setzt offenbar auch Shopping-Galerie Loom (ECE), Bielefeld, wo man sich mit Betreibern wie KFC, Gustosa, Chutney, Spoleto, Lee & Lee, Burger BRO, Pomm Store, Freshbar und Gurman’s offenbar gezielt auf junge Gaumen eingestellt hat. Und selbst der Multilabel-Filialist Breuninger, der gastronomisch eher exquisit aufgestellt ist, kündigte an, mit Chia-Bowls neue junge Kunden anlocken zu wollen.

Authentisch bleiben

Allerdings gibt es für die Generation Z interessantere Dinge im Leben als das, was man isst oder trinkt, so Anton Kozka, Global Marketing Director Edward Appleton und Project Director. Mit der Studie „Zwischen Fertig-Sushi und Club Mate“ hatte sein Unternehmen den Trink- und Essgewohnheiten der Gen Z sprichwörtlich auf den Zahn gefühlt. Eine Quintessenz – nicht nur für Food-Angebote – diese Generation durchblickt Marketing-Strategien schneller als die Generation Y noch vor 15 Jahren. Vielmehr ist Authentizität das Maß aller Dinge. Daraus resultiert zwar aktuell keine neue Nachhaltigkeitswelle. Aber immerhin gehören Food-Trends zum sich allerdings permanent wandelnden Lifestyle der Generation Z. Und das macht den Handel wirklich spannend.
Eva Barth-Gillhaus

Essen ist sexier als Mode – nach diesem Grundsatz wird das Gastroangebot in den ECE-Centern zum Wettbewerbsvorteil ausgebaut, wie bei der neuen Shopping-Galerie Loom in Bielefed (Foto: ECE / Shopping-Galerie Loom)

Westwing München