Future Products stellen den menschlichen Faktor konsequent ins Zentrum. In einer zunehmend technisierten Welt helfen sie uns, besser, sinnvoller und menschengerechter zu leben, berichtet das Zukunftsinstitut.
VR für den ganzen Körper: Der Teslasuit soll die reale mit der virtuellen Welt verbinden. Er lässt sich via Bluetooth mit einem VR-Gerät oder dem Computer verbinden
Augmented und Virtual Reality, Blockchain, Internet der Dinge, Künstliche Intelligenz – die computerisierte Welt differenziert sich in rasantem Tempo aus. Gerade die vielfältigen technologischen Dimensionen des digitalen Wandels erzeugen Druck, schüren Ängste und nähren Visionen einer Techno-Zukunft, in der der Mensch nur noch eine Nebenrolle spielt. In einer solchen Sci-Fi-Realität sind wir von allgegenwärtigen Screens, Sensoren und Algorithmen umgeben, die aus unseren Daten unsere Bedürfnisse herauslesen, bevor wir sie selbst kennen, die unser Tun begleiten – und leiten.
Doch Evolution verläuft nicht linear im Sinne einer stetig fortschreitenden Technisierung, sondern komplex, oft widersprüchlich und in rekursiven Schleifen, die neue soziotechnische Synthesen hervorbringen. In eine solche Schleife führt derzeit auch das Gefühl einer zunehmenden Überforderung durch digitale Medien, das viele Menschen verspüren. Daraus erwächst eine neue digitale Achtsamkeit, ein ganzheitliches, real-digitales Mindset – und neue Produkte und Services, die einen reflektierteren, menschengerechteren Umgang mit Digitalität unterstützen.
Dabei rückt die Frage nach der Sinnhaftigkeit digitaler Angebote immer mehr in den Fokus, etwa, wenn es um die Entwicklung nahtloser, natürlicher Schnittstellen zu Technologie geht. Denn je komplexer und undurchschaubarer sich unser Alltag gestaltet, umso attraktiver werden nahtlose Nutzererlebnisse über intuitive, simpel zu bedienende Schnittstellen.
Kein Wunder also, dass das Medium der Sprache derzeit eine digitale Renaissance erlebt, etwa durch die Verbreitung smarter Sprachassistenten oder intelligenter Speaker wie Amazon Echo. Auch hier gilt es jedoch, zwischen Machbarkeit und Sinnhaftigkeit zu differenzieren. Denn die meisten Voice-Anwendungen verharren heute noch im Bereich simpler technologischer Spielereien – sofern sie überhaupt im Alltag funktionieren.
Bei Alexa und Co. steht allzu oft weniger der Mensch und die Frage nach dem Warum im Zentrum als die technologische Machbarkeit. Wirklich Sinn machen Sprachassistenten dort, wo sie ganz spezifische Nutzerbedürfnisse ansprechen, zum Beispiel im Verkehr: Könnte man etwa beim Motorradfahren die Hände am Lenker lassen und die Augen auf die Straße richten, während der Sprachassistent einen Anruf macht, würde das Unfallrisiko enorm sinken.
Ad Blocker: Die IRL Glasses (In Real Life) blockieren das Licht von LCD- und LED-Monitoren, verdunkeln so jeden Monitor für den Betrachter und schützen damit vor dem Informations Overflow
Achtsamkeit: Das Moto Zen des Industriedesigners Miguel Harry verfügt nur über die zwei elementaren Features der Kommunikation: Telefon und Kamera. Bei Nichtbenuztung wirkt es wie aus (der) Stein-(zeit)
Die Rache des Analogen
Ob und wo eine neue Technologie sich durchsetzt, entscheidet sich an der Frage nach menschlichen Bedürfnissen. Diese stehen heute im Zeichen jener Gegentrends, die sich der rapiden Automatisierung, Virtualisierung und Digitalisierung unserer Lebenswelten entgegenstellen: die Slow-, Haptik-, Authentizitäts- und Achtsamkeits-Trends – und immer wieder: der Retro-Trend. Wenn alles unendlich kopier- und verfügbar ist, wird das Einmalige, Spezifische, Anfassbare zum neuen Luxus. Diesen massiven Gegentrend, der sich zurzeit im Real Life vollzieht, hat der kanadische Autor David Sax in seinem gleichnamigen Buch „Die Rache des Analogen“ beschrieben. In einer Welt der Bildschirme sehnen wir uns nach Signifikanz. Überall kommt es deshalb zu interessanten Comebacks des Physischen, Haptischen, Authentisch-Dinglichen.
Diese Bewegung umfasst weit mehr als das Revival analoger Tools wie Füllfederhalter, Papier-Notizbücher, Vinylplatten oder Fotokameras. Denn im Rückgriff auf das Analoge entwickelt sich aus dem Digitalen auch eine neue Ästhetik des Hybriden: Das Sinnliche und das Haptische verbinden sich mit der Fluidität der digitalen Funktionen.
Der Designer Tony Fadell, einst Mitentwickler des iPods und später Chefdesigner der Thermostate-Firma Nest, nennt das „Human-adaptive Design: Technologie soll uns nicht zur Anpassung zwingen, sondern sich vielmehr selbst an unsere Sinne und Gewohnheiten anpassen. Im Kern steht die Idee der Nichtintrusivität: Die Technologien, die uns umgeben, sollen uns nicht reizen und in endlose Aufmerksamkeitsaktionen zwingen, sondern uns und unserem Seelenfrieden dienen.
Diese neue digitale Achtsamkeit wird vorangetrieben von dem kollektiven Gefühl, dass wir im Netz Gefahr laufen, uns von uns selbst zu entfremden. Immer mehr Menschen befreien sich aus der Überforderung des Medial-Digitalen. Sie schalten ab, weil sie ihre Leistungsfähigkeit durch ständiges Multitasking gefährdet sehen. In den USA sind Anleitungen zum Netz-Entzug wie „Digital Diet“ oder „Unplug“ Millionenbestseller. In Digital-Detox-Camps kann man erfahren, dass ein Leben auch ohne Smartphone möglich ist, Apps wie Selfcontrol limitieren die Online-Zeit und eine ganze Coaching-Branche hat sich rund um das Thema Digital Rightsizing entwickelt.
Die eigentliche Alternative zur digitalen Überforderung ist kein simples Dagegen, sondern ein neues, achtsames Dafür: ein neuer Lebensstil, der die Qualitäten des Netzes mit einer klugen Achtsamkeit verbindet. Ist Online die These und Offline die Antithese, so ist OMline die real-digitale Synthese: eine bewusste Selbstermächtigung für einen achtsam-souveränen Umgang mit einer vernetzten Realität.
Papier-Feeling: Man schreibt auf dem reMarkable wie auf Papier. Später lässt sich der Text konvertieren. Ein E-Ink-Display schont zudem die Augen / Hör-Genuss: Eine Revolution des Musikhörens versprechen die Nuraphone-Kopfhörer, die sich an die individuelle Beschaffenheit jedes Ohrs anpassen
Human Touch Technologies
Die real-digitale Balance des OMline-Trends macht deutlich, was im Fokus jeder technologischen Innovation stehen muss, wenn sie sich langfristig durchsetzen soll: die Wünsche und Bedürfnisse der Nutzer – das genuin Menschliche. Echte Future Products stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Kompromisslos. Denn Menschen lieben technische Neuerungen nur, wenn sie ihr Leben erleichtern, wenn sie Sinn für sie machen und detailliert auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind – nicht aber, wenn sie den Verlockungen des Shiny Object Syndrome erliegen, und als überflüssige Gadgets das Leben nur zusätzlich verkomplizieren.
Ein zentraler Leitgedanke des Human-Centered Design besteht deshalb in der Einsicht, dass Digitalisierung nicht primär mit Technologie und IT zu tun hat, sondern mit sozialen Systemen: Der digitale Wandel ist soziotechnischer Prozess, bei dem das Zusammenspiel von Mensch und Technologie im Zentrum steht. Wer dies verinnerlicht, dem eröffnen sich ganz neue Wege über digitale Produktinnovationen nachzudenken.
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