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EcoTrend: Zukunft braucht Haltung

Die fünfte Otto Group Trendstudie zeigt: Ethischer Konsum verliert in der Corona-Krise nicht an Relevanz. Die Versprechen ethischen Konsums werden vor dem Hintergrund steigender Unsicherheit sowie zunehmender sozialer und ökologischer Herausforderungen noch relevanter.

Wir leben in einer Welt, die sich mit rasanter werdendem Tempo entwickelt und verändert. Unsere Gewissheiten sind immer stärker auf die Gegenwart begrenzt. Was wir heute für wahr und richtig halten, kann morgen schon ganz anders sein. Unser Lebensgefühl war bereits vor der Corona-Krise von immer weniger Planbarkeit, weniger Vorhersehbarkeit, von schwindenden Gewissheiten und reduzierten Sicherheiten geprägt. Gerade in einer solchen unbeständigen Welt stellt ethischer Konsum ein attraktives Versprechen dar: Nachhaltigkeit, Bewusstsein, Wirksamkeit. Corona macht keineswegs alles anders. Im Gegenteil: Die Versprechen ethischen Konsums werden noch wichtiger.

Das Ende heiliger Kühe

Klimagerechter Konsum bedeutet nicht nur, die richtigen, sondern weniger Produkte zu kaufen- klimagerechte Produktion bedeutet, weniger herzustellen. In den „3 R“ der Kreislaufwirtschaft – Reduce, Reuse, Recycle – hat die Reduktion des Ressourceneinsatzes die höchste Priorität. Die Konsumenten sind dabei an Bord: 82 Prozent der Deutschen sind bereit, den Weg von der Wegwerfgesellschaft zur Kreislaufwirtschaft mitzugehen und sprechen sich für längere Produktnutzungsdauer und höhere Materialeffizienz aus. Konsumenten haben ein Sensorium für ihre individuelle Klimabilanz entwickelt: von der Flugreise über den importierten Apfel aus Australien bis hin zu einer einzelnen E-Mail – alles vergrößert den ökologischen Fußabdruck.

Auch Ikea beschäftigt sich mit innerstädtischen Lösungen, besonders für eine nachhaltige Mobilität www.ikea.com

Otto, Tchibo & Avocadostore testen derzeit den Versand mit wiederverwertbaren Verpackungen www.repack.com

Besonders gestiegen ist die Sensibilität, wenn es um die Verwendung von Plastik geht – egal ob als Verpackung oder Produktmaterial selbst. Laut einer Brandwatch-Studie zeigten sich rund 70 Prozent der Deutschen (sehr) besorgt, wenn es um das Thema Plastikmüll geht. Hier schaltet sich auch der Gesetzgeber immer stärker ein. Das Weniger rückt in den Mittelpunkt von Konsumüberlegungen. Der Öko-Minimalismus bedeutet eine Revolution für unsere Konsumkultur. Leihen, teilen, wiederverkaufen, reparieren, verpackungsfrei – diese Prinzipien haben es in den Mainstream der Bevölkerung geschafft. Das zeigt sich auch im Lebensmittelbereich. Foodsharing rettet Lebensmittel vor der Vernichtung. Plattformen wie sirplus.de machen daraus ein Geschäftsmodell. Unternehmen entwickeln wirtschaftskulturelle Innovationen, die „heilige Kühe“ der Betriebswirtschaft wie Absatzmaximierung und Alleinstellungsmerkmale abservieren. Nachhaltigkeitspionier Patagonia stellt aktiv den Neukauf von Produkten infrage und hat die Produktreparatur als eigenes Geschäftsfeld aufgebaut. Outdoorproduzent Houdini hat eine Fleecejacke ohne Mikroplastik in Kreislaufproduktion entwickelt und legt das Ergebnis jahrelanger Entwicklungsarbeit nach Open-Source-Prinzipien offen. Die einfache Rechnung: Je mehr Nachahmer diese Jacke findet, umso stärker reduziert sich der ökologische Fußabdruck. Nicht von einem einzelnen Unternehmen, sondern von uns allen.

Die neue Konsumethik

Covid-19 hat zunehmend das alltägliche Leben und Einkaufen in die virtuelle Welt verlagert. Online-Shopping bedeutet Convenience, Zeitersparnis, maximale Auswahl und in der Pandemie: Sicherheit. Trotz aller individuellen Vorteile stehen Online-Händler in der Kritik, wenn es um ihre ökologische und soziale Verträglichkeit geht: Verpackungsmüll, Transportemissionen, der zweifelhafte Ruf globaler Anbieter als Steuerzahler und Arbeitgeber – mit diesen Themen wird der Online-Handel eher assoziiert als der stationäre. Digital, vernetzt und smart hat der Online-Handel jedoch die besten Voraussetzungen, effizienter, ressourcenschonender und nachhaltiger zu werden.
Solange der Online-Einkauf die fallweise Ausnahme war, zeigten sich auch Konsumenten pragmatischer, was ihre ethischen Ansprüche anbelangt. Jetzt aber entwickelt sich Online auf dem besten Weg zum Standard. Die ökologischen und sozialen Auswirkungen werden greifbarer: Die Verpackungsberge zu Hause werden höher, während der Laden ums Eck immer stärker um sein Überleben kämpft. Gleichzeitig steigen die sozialen und ökologischen Anforderungen gegenüber E-Commerce-Anbietern. Einer der relevantesten Faktoren in der Öko-Bilanz des Online-Handels ist die Verpackung. Hier verändern Online-Händler ihre Verpackungsstrategien entlang der Prioritäten der Nachhaltigkeit: Reduce, Reuse, Recycle. So wenig Verpackung wie möglich zu benötigen, ist die Grundlage. Laut einer Forbes-Studie gehen rund 60 Prozent der amerikanischen E-Commerce-Entscheider davon aus, dass mehr als ein Viertel der verwendeten Kartons zu 25 Prozent mit Luft gefüllt sind. Hermes hat bereits 2012 mithilfe von Big Data an der Kartongröße geschraubt und spart seitdem jährlich Hunderte Lkw-Ladungen ein. BoxOnDemand ermöglicht eine maßgeschneiderte Box – individuell und on demand für jedes Paket.

Müllvermeidung durch wiederverwendbare Verpackungen www.loopstore.com

Umweltfreundliche Materialien erschöpfen sich längst nicht mehr in recyceltem Karton und Papier. Der Outdoor-Hersteller Salewa setzt auf Pakete, die zu 40 Prozent aus Gras bestehen. Das heißt in der Herstellung über 90 Prozent weniger Wasserverbrauch und der Erhalt von wertvollen Wiesenflächen. MycoComposite bietet hochwertige Gebinde aus Pilzfasern an, die vollständig und effizient zu Hause kompostierbar sind. RePack hat ein Mehrwegsystem für den Versandhandel entwickelt: bis zu 20-mal verwendbare Versandtaschen. Zusammengefaltet auf Kuvertgröße, können die Taschen einfach zurückgesandt werden. Auch Otto testet dieses System aktuell. Etwas größere Versandtaschen sind für das Berliner Kiezbett notwendig. Das wird nicht nur aus lokalen Materialien gebaut, sondern auch emissionsfrei per Lastenrad und textiler Versandtasche (ebenfalls von RePack) geliefert- Letztere wird gleich wieder mitgenommen und wiederverwendet. Eines der ambitioniertesten Projekte ist sicher Loop, eine Kooperation von über 40 FMCG-Unternehmen wie Unilever, Beiersdorf und Gillette. Entwickelt wurden Mehrwegbehälter, die von den teilnehmenden Unternehmen befüllt werden. Kunden können über 300 Produkte für den täglichen Gebrauch in derzeit vier Ländern, Frankreich, Großbritannien, USA und Kanada, kaufen. Loop-Produkte können bei Einzelhändlern im Geschäft sowie auf deren E-commerce Webseiten erworben werden. Eine andere Lösung bietet der Online-Händler Lanius an: Kunden können dort bei der Bestellung mit der Verwendung gebrauchter Kartons einverstanden sein- verwendet werden die Kartons der Retouren. Eine Strategie, mit der auch die Konsumenten können: 73 Prozent der Deutschen sind laut der Befragung zu dieser Studie der Meinung, dass die Entsorgung und Aufbereitung von Verpackungen ein Angebot im E-Commerce werden sollten.

Grafik aus dem Otto-Trendreport: Einstellung der verschiedenen Generationen zu Umweltthemen

Smarte Logistik

Ein weiterer Kritikpunkt in der Öko-Bilanz des E-Commerce ist der Transport. Der Frachtverkehr ist zudem eine der zentralen Herausforderungen in der städtischen Verkehrs- und Umweltplanung. Die sogenannte „Letzte Meile“, die letzte Transportetappe zu den Endkunden, stellt dabei den aufwendigsten Teil dar. Maximale Effizienz kann nur erreicht werden, wenn die vorhandene Infrastruktur von mehreren Unternehmen gemeinsam und smart genutzt wird. Lokale Mikro-Hubs, die in der Nacht beliefert werden und von denen tagsüber die lokale Zustellung per E-Bike oder Ähnlichem organisiert wird, sind bereits in Städten wie London und Yokohama fester Bestandteil der Infrastruktur. In Berlin betreibt UrbanCargo mit einem Lkw-Container einen mobilen Mikro-Hub für mehrere Produzenten.
Mit diesem System kann auf die tagesaktuelle Liefersituation reagiert werden. Zur Infrastruktur der Zukunft gehören auch kleine Roboterautos, die selbstständig und emissionsfrei innerstädtische Zustellungen übernehmen. Diese Entwicklung hat sich durch die kontaktlose Zustellung während der Corona-Pandemie in China und in den USA be- schleunigt. Unternehmen, die darauf nicht warten wollen, können ihre Zustellflotte durch E-Bikes, Lastenräder und Elektrofahrzeuge erweitern. Oder setzen von vornherein auf regionale Alternativen wie das Kiezkaufhaus, bei dem die online bestellten Produkte aus der Region noch am selben Tag mit Cargo-E-Bikes zugestellt werden. So viel Innovation kostet. 63 Prozent der Deutschen sind allerdings auch bereit, für die Kosten des klimaneutralen Versands ihrer Online-Einkäufe zu bezahlen, so die Daten der Befragung für diese.

Grün ist nicht genug

Höhere Ansprüche sind auch im Umgang mit Retouren zu erwarten: 82 Prozent der Deutschen wünschen sich, dass Retouren wiederverkauft und nicht gleich recycelt oder vernichtet werden. Händler setzen diesen Anspruch sehr unterschiedlich stark um – der Umgang mit Retouren kann tatsächlich zum Differenzierungsmerkmal für Online-Händler werden. Alle Online-Händler hingegen arbeiten bereits heute darauf hin, Retouren zu vermeiden: von extrem genauen Produktbeschreibungen inklusive Videos über konsequente Passform-Systeme und persönlichen Kunden-Support bis zu Cross-Channel-Strategien, in denen Produkte im Laden oder Showroom begutachtet werden können, und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz, um Retouren-Kandidaten gar nicht ins Sortiment zu nehmen, wie dies bei bonprix passiert. Tatsächlich kann der Online-Einkauf nach einer Studie des Cleantech-Instituts keineswegs kurzerhand als klimaschädlicher als der Einkauf im stationären Handel verurteilt werden. In die Klimabilanz jedes Einkaufs spielen eine Reihe von Faktoren mit, zum Beispiel die Art des Produkts, die Anzahl der Retouren, die Energieeffizienz des Ladens in der Stadt oder auch die Wahl des Verkehrsmittels, mit dem man dorthin fährt.

Belieferung mit Elektro-Lastenrad in Würzburg auf der „Letzten Meile“ www.memoworld.de (Foto: memo AG)

Je nachdem, fällt die Klimabilanz mal beim stationären, mal beim digitalen Händler positiver aus, so auch das Öko-Institut.
Auch soziale Faktoren gewinnen an Relevanz. Die Qualität der Arbeitsbedingungen werden zum kaufentscheidenden Argument: 68 Prozent der Deutschen würden einen Anbieter boykottieren, der seinen Mitarbeitern schlechte Arbeitsbedingungen bietet. Die Auswirkungen des Online-Handels auf innerstädtische Läden und damit auch auf unser Stadtbild werden hinterfragt. Radikal fordert hier Philosoph Richard David Precht die Einführung einer 25-prozentigen Steuer „auf all den Kram, den wir tagein, tagaus online bestellen“. Das Geld solle den Kommunen für die Strukturentwicklung zur Verfügung gestellt werden. Dabei schicken sich große Händler längst schon an, aktive und positive Player für Städte zu werden. Einmal mehr setzt hier Ikea interessante Benchmarks: In Wien wird aktuell ein innerstädtisches Möbelhaus gebaut, das ohne Lagerflächen auskommt, weil man hier die Möbel nur testen kann und sie dann geliefert werden. Gleichzeitig bietet das neue Haus großzügige konsumfreie Grün- und Freiflächen als Impuls und Treffpunkt für die Nachbarschaft beziehungsweise den Bezirk.
„Wir wollen etwas bewegen, denn die Wirtschaft muss am Ende dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Dazu müssen auch wir alle uns bewegen. Weg von der Wegwerfgesellschaft. Hin zu nachhaltigen und recyclingfähigen Produkten, zu einer ressourcenschonenden Produktionsweise, in der Menschenrechte stärker geachtet werden und Respekt und Achtsamkeit gegenüber der Natur einen neuen Stellenwert erlangen. Es geht um ein faires Miteinander und um ein verantwortliches Handeln. Die Ergebnisse der 5. Studie zum ethischen Konsum bestärken uns auf diesem Weg,“ erklärt der Vorstandsvorsitzende der Otto Group, Alexander Birken. Packen wir es also gemeinsam an!
www.ottogroup.com


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Trend&Style Frühjahr 2021