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Digitaler Komfort: Wie smart darf’s denn sein?

Mit Künstlicher Intelligenz soll der Komfort in der Küche steigen. Unter dem Motto „Stress raus – Spaß rein“ (Siemens) feierte die Geräteindustrie auf der vergangenen IFA die eigene Innovationskraft und die smarte Küchenzukunft. Doch wie smart es die Verbraucher wirklich wollen – beim Kochen, in der Küche, zu Hause und im Handel – diese Frage stellt sich im Vorfeld der Messen und zum Auftakt des Jahres, das von Veränderungsprozessen in einem kaum bekannten Ausmaß bestimmt sein wird.

Backofen & Co. können via Tablet und Smartphone bedient werden, verfügen durch die Home Connect App über Zusatzfunktionen wie Gebrauchsanweisungen, Rezepten und Kochtipps (Foto: Neff)

Während im Handel Klick-Raten die Frequenz ablösen, Roboter das Kochen lernen (sollen), vernetzte Küchengeräte die Organisation rund um Ernährung und Herd übernehmen und das smarte Zuhause das Maß aller Dinge zu werden scheint, ist immer öfter von einer neuen Sehnsucht die Rede. Für Zukunftsforscher Matthias Horx sind sogar die ersten Anzeichen einer digitalen Erschöpfung spürbar. In seinem jüngsten Zukunftsreport spricht Horx darum davon, dass die Digitalisierung zunehmend weniger als Verheißung, sondern vielmehr als Überforderung, als Entmenschlichung, als „Terror des Klicks“ empfunden wird. Ob aber die von ihm ausgerufene Ära der Post-Digitalisierung aufzieht, bleibt abzuwarten. Tatsächlich stehen viele Zeichen auf Veränderung. Viele werden Auswirkung auf die Branche und ihre Geschäftsmodelle haben.
Ob in Politik, Wissenschaft, Kunst, ja selbst bei den Spitzenköchen macht sich die Erkenntnis von einem neuem Bewusstsein breit. Selbst in Silicon Valley ist der Ruf nach Werten zu vernehmen, weil die Tech-Giganten aus den Augen verloren haben, wofür sie einmal angetreten waren: das Leben der Menschen smart, besser zu machen. Smart-Home-Systeme aber haben nichts mit technischen Laboren bzw. technischem Selbstzweck zu tun. Smart ist vielmehr, was den „Usern“ also den Menschen wirklich hilft. Dazu gehört auch die „Smart Kitchen“.

Smart ist, wenn’s hilft

Doch wieviel Hightech steckt in der Smart Kitchen? „In einer immer rastloser werdenden Gesellschaft ist die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit groß.“ Diese Feststellung leitet die Vorstellung eines Kochbuches ein: Unter dem Titel „Neue Heimat“ bekennt Tim Mälzer, dass für ihn Essen „Heimat auf dem Teller“ bedeutet. Keine Heimat von gestern bzw. eine Heimat der Gestrigen. In seiner Heimatküche kommen auch Spaghetti und Pizza, Döner und Burger, mancherorts sogar schon Falafel auf den Tisch. In der Heimatküche, die Mälzer propagiert, geht es zwar auch um das Was, vor allem aber um das Wie. Denn diese Küche kommt ohne Kunst und Hokuspokus aus. Es geht um die einfachen Dinge, die umso höher geschätzt und erlebt werden. Smart Kitchen hat Sinnlichkeit und Gefühl, weiß Mälzer nicht allein.
Dass lecker ganz einfach sein kann, darauf beruft sich auch das Geschäftsmodell von „Hello Fresh“. Der Kochboxlieferant, der mit rund 1,9 Millionen Kunden in elf Ländern im dritten Quartal 2018 rund 302 Millionen Euro Umsatz schaffte, was einem Plus von fast 40 Prozent entspricht. Es wird kaum so gut munden wie aus der Küche von Mälzer, aber einfach geht es auf jeden Fall zu. Das Food-Abo, das frische grammgenau abgewogene Zutaten für wöchentlich wechselnde Gericht zum Wunschtermin nach Hause bringt. Rezeptkarten für die in 30 Minuten fertigen Gerichte gehören zum Service.

Im Berliner aptm (a place to meet) werden Kunden wie Gäste begrüßt, für die persönliche Empfehlungen ausgearbeitet werden (Foto: Jochen Arndt)

Kochboxen segeln unter der Devise lecker kann ganz einfach sein auf Erfolgskurs (Foto: Hello Fresh)

Rückzug ist angesagt

Es geht immer um wenig Show, im Idealfall um authentischen Genuss. Nicht nur im Kochtopf ist Reduktion eine Maxime. Rückzug ist generell angesagt, auch wenn der Mainstream noch nicht davon erfasst ist. Die moderne Architektur ist schon auf einem Schlichtheitskurs, der dank Naturnähe, -materialien, aber auch dank smarten und nachhaltigen Konzepten wieder „menschelt“. Das Jubiläumsjahr des Bauhauses könnte nicht passender terminiert sein.
Denn eine ähnliche Form der Klarheit wird auch das Zuhause prägen, das zum Rückzugsort wird und wo eine neue Ruhe einkehrt. Das Leben auf lautlos stellen, das sei die neue Sehnsucht der Menschen, ist die Autorin Anja Kirig, die sich mit Trend- und Zukunftsforschung beschäftigt, überzeugt. Dazu passt eine bewusstere Lebenseinstellung, die 2019 noch wichtiger werden wird. Nicht zuletzt die Berichterstattung über Naturkatastrophen oder durch Plastik jämmerlich verendende Meerestiere werden dafür sorgen. Caroline Till, Co-Founder des Studios Franklin Till ist davon überzeugt, dass auf der Suche nach neuen Lifestyles, Themen wie Achtsamkeit und Nachhaltigkeit eine tragende Rolle spielen werden und die Herausforderung der nächsten Jahrzehnte darstellen.
Für die Lebensmittelbranche zwar keine Neuigkeit, aber ein Trend, der auch hier mehr Beachtung finden wird. Zwar geben Deutsche im europäischen Vergleich weiterhin eher wenig für Lebensmittel aus und kaufen Essen und Trinken im Jahr 2018 laut Erhebung mehrheitlich im Discounter. Allerdings würden 58 Prozent ihre Kaufgewohnheiten ändern und auf Wochen- oder Biomärkten beziehungsweise dem Bauernhof einkaufen, wenn Geld keine Rolle spielen würde. Zudem sind 26 Prozent bereit, bis zu zehn Prozent mehr zu zahlen, wenn das Essen Bio ist, 24 Prozent, wenn es aus der Region kommt und 20 Prozent, wenn es handwerklich hergestellt ist. Der Alltag sieht aktuell jedoch anders aus. Das geht aus einer bevölkerungsrepräsentativen Studie des Hausgeräteherstellers Ritterwerk unter 1.000 Deutschen hervor. Allerdings hat sich vor nur wenigen Monaten noch kaum einer vorstellen können, dass verpackungsfreie Supermärkte überleben können, die auf lose Ware setzen, um auf Kunststoffverpackung zu verzichten. Inzwischen packen die ersten Discounter, wo im Übrigen rund 66 Prozent der Deutschen ihre Nahrungsmittel kaufen, zum Beispiel ihre Bio Schlangengurken aus. Unabhängig vom Vertriebskanal spielen für die Konsumenten Herkunft, Qualität und Zubereitung eine immer wichtigere Rolle. 84 Prozent der Deutschen wollen in Zukunft öfter zu regionalen Produkten greifen. Sogar Gin und Bier aus Eigenproduktion und das Sauerteigbrot aus der Bäckerei, die heute immer öfter Manufaktur heißt, sind 2019 im Kommen, weiß die Ritterwerk-Studie.

 

Smart Cooking mit Stern

Bei diesem Trend haben die Deutschen Sterne- und WDR-Fernsehkoch Björn Freitag voll auf ihrer Seite. Einfach und köstlich ist seine Devise und so lautet auch der Titel der seit über vier Jahren laufenden WDR Sendung mit Björn Freitag. In seinen Rezepten werden aus frischen Produkten im Handumdrehen köstliche, schnelle und gesunde Gerichte gezaubert, die zudem verblüffend günstig sind. Denn er setzt auf Saisonalität und Regionalität. Den Zeichen der Zeit folgend entwickelte Freitag das „Smart Cooking“, das nicht viel mehr Aufwand erfordert als ein belegtes Brot. „Das geht auch nach einem harten Tag“, so sein Credo für ein Abendessen zum Beispiel nach einem 10-Stunden-Tag, mit dem nicht nur Sterneköche fertig werden müssen. Dann soll die Küche nicht verwüstet werden und Einkaufen in drei Minuten erledigt sein. Freitags Smart-Cooking-Rezepte werden innerhalb weniger Minuten und möglichst in nur einem Topf oder einer Pfanne oder auf einem Backblech zubereitet. Smart bedeutet: auf den Alltag der Menschen und deren wandelnde Bedürfnisse zugeschnitten. Wie gefragt solche Lösungen sind, unterstreichen die aktuellen gedruckten und gebloggten Rezept-Tipps, in denen gern „alles Gute aus einem Topf“ kommt bzw. im One-Pot köchelt. Die „Arme-Leute-Küchen“ aus aller Herren Länder lassen grüßen. Zwar beschleunigt das Internet die Schnelllebigkeit vor allem von modisch inspirierten Trends, aber gerade das beschleunigte Leben wird dafür sorgen, dass diese smarte Küche länger überleben wird. Wie viel Küche, Cookshop und Tabletop dafür gebraucht wird bzw. wie viel umgesetzt werden kann, das hinterfragen diverse Studien. Das Stichwort „Slow Living“, das in fast allen ernst zu nehmenden Trendvorhersagen fällt, unterstreicht, dass Qualität vor Quantität und Reduktion vor Dekorausch kommen wird. Für die Küchen war schon 2018 kein rosiges Jahr. Sogar von einer Delle ist die Rede, denn trotz Trend zu mehr Wertigkeit schaffen viele Händler kein Umsatzplus. Man spricht von Marktsättigung, auch wenn sich fast jeder vierte Konsument eine neue Küche wünscht. Das hat das Allensbach Institut für Demoskopie im Auftrag der Deutschen Möbelindustrie herausgefunden.
Die kommende Herausforderung für Laden- und Sortimentskonzepte unterstreichen die Ergebnisse des Ikea „Life at Home Report 2018“. Danach ist für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Wohnung der Ort, an dem man sich wohlfühlt und entspannt. Aber auch ein Rückzugs- und Freiheitsraum, der ganz nach ihren Bedürfnissen und ihrem individuellen Geschmack eingerichtet wird. Allerdings beruht Zuhause im Kern auf einem Gefühl des persönlichen Dazugehörens und kollektiver Zusammengehörigkeit, was die eigenen vier Wände bei 53 Prozent der jungen Familien nicht leisten. Es sei eben schwierig, Wurzeln zu schlagen, wenn man zwischen Wohnungen, Städten oder gar Ländern hin und her pendelt. Da ist es gut, wenn zumindest im Topf der Geschmack von Heimat aufkocht.

Die Küche von Tim Mälzer kommt ohne Hokuspokus aus (Foto: Frank Meyer)

Das neue Heimatkochbuch von Tim Mälzer stillt die Sehnsucht nach gutem Essen, kulinarischer Geborgenheit – Emotion pur fürs Auge und auf dem Teller

Mit loser Ware gegen Kunststoffverpackung: Der „Original Unverpackt“ Laden in Berlin wurde 2014 gegründet (Foto: Original unverpackt, Berlin)

Verpackungsfreie Konzepte machen nicht mehr nur als Kietz-Läden Karriere (Foto: Original unverpackt, Berlin)

Konsequenzen für den Handel

Als Konsequenz für den Handel leitet sich daraus die Forderung ab: Schaffen Sie Zu-Hause-Erlebnisse. Vermitteln Sie ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Außerdem sollten Produkte den Alltag der Menschen erleichtern und auf die sich wandelnden Bedürfnisse zugeschnitten werden. Für den Möbelprimus Ikea gehören dazu künftig unter anderem Küchenspezialhäuser. Hier steht nicht mehr die Mitnahmeküche im Fokus, sondern der stärker nachgefragte Service und Beratung. Zwar kann Digitalisierung via Künstlicher Intelligenz im Handel viele Aufgaben schneller und genauer erledigen als der Mensch. Aber Menschen braucht es dennoch. So zeigt eine Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC), dass drei Viertel der Konsumenten Wert auf freundliche, aufmerksame und präsente Verkäufer legen. Allerdings mussten sechs von zehn Kunden bei ihrem letzten Einkauf das Verkaufspersonal aktiv ansprechen, um beraten zu werden. Und nur 38 Prozent der Verkäufer konnten während des Gesprächs Informationen zu einem bestimmten Produkt geben: „Geschultes und aufmerksames Personal ist ein wichtiges Element, um Kunden im stationären Handel ein positives Einkaufserlebnis zu bieten“, kommentiert Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland, die Ergebnisse. Übrigens ist Kollege Roboter (noch) keine Lösung. Denn jeder zweite Kunde über 40 Jahre würde einen solchen Helfer nicht nutzen. Und bei den unter 30-Jährigen erwarten 44 Prozent, dass die Verkäufer sich für deren persönliche Präferenzen interessieren. In jedem Fall definieren Konsumenten Einkaufserlebnis offenbar umfassender als der Handel selbst. Kunden seien sogar zunehmend bereit, Preisaufschläge für guten Service und kompetente Beratung zu zahlen, so PwC.
Noch einen Schritt weiter geht Hankook Kim, Gründer der Brillenmarke „Gentle Monster“. Er glaubt, dass Kunden nicht für ein Produkt bezahlen, sondern für das Privileg etwas Neuartiges erleben zu dürfen.
Bei „aptm“, einem „a place to meet“ in Berlin, dürfen sie das. Hier verschmelzen Handel, Showroom und Event-Space. Betreiber Chris Glass kreierte diesen besonderen Ort, „an dem sich kunst- und design-interessierte Menschen treffen, austauschen und miteinander feiern können.“ Die 230 Quadratmeter große Living Gallery ist wie eine Wohnung eingerichtet mit Küche, Bad, Schlaf-, Wohn- und Essbereich einschließlich Tresen. Sie dient als Bühne für Einrichtungsgenstände, Leuchten, Wohnaccessoires, Kunst- und Dekorationsobjekte bis hin zu Geschirr, Kulinarik und technischen Geräten. Und alles ist käuflich zu erwerben. Chris Glass: „Das Konzept des Einzelhandels besteht darin, dass Objekte aus aller Welt gesammelt, an einen zentralen Ort gebracht und Menschen an diesem zentralen Ort versammelt werden, um diese Waren anzuschauen und zu kaufen. Denn es ist die persönliche Verbindung, die verloren gegangen ist.“ Im aptm geht es „um das Individuum, die Kuration, die Art und Weise, wie man Gäste begrüßt und persönliche Empfehlungen für sie ausarbeitet.“ Das ist selbstverständlich keine Absage an die Digitalisierung im stationären Handel, aber ein Gegenpol. Nicht zu unterstätzen ist allerdings, dass vor allem Dank viraler Wirkung auf den Social Media-Portalen auch diesem place to meet Frequenz und Leben eingehaucht wird.
Eva Barth-Gillhaus