Die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) weiß um die Potenziale des stationären Handels. Laut der Sonderorganisation der Vereinten Nationen spielen Einkaufserlebnisse bei der Wahl der Urlaubsziele eine immer größere Rolle. Das ist allerdings kein Freispruch für überkommene Handelskonzepte. Läden, zu denen man reist, sind Läden der Zukunft, und die machen das Einkaufen zu einem Ereignis – am besten zu einer kulturellen Bereicherung, ist man bei UNWTO überzeugt. Diese Kunst beherrschen zurzeit nur wenige Händler beziehungsweise Geschäfte, aber alle können von den neuen Konzepten und Testläden aller Branchen lernen. Denn für alle gilt das Motto „Customer first“, auch wenn das Ziel auf unterschiedliche Weise erreicht wird.
Ergrünte Restaurants stillen die Sehnsucht der Verbraucher nach Natur (Foto: east Hotel & Restaurant GmbH)
Die Fakten sprechen eine klare Sprache: Gastronomie im Handel und in dessen Umfeld nimmt an Fahrt auf: „An rund 33.000 Standorten werden über neun Milliarden Euro Umsatz jährlich mit handelsgastronomischen Angeboten erzielt. Tendenz steigend.“ Mit dieser Erkenntnis wirbt die EHI Retail Institute GmbH, Köln, für einen Kongress, der sich der Handelsgastronomie und damit einem wahrhaft lukrativen Geschäft widmet.
Ein Geschäft, das im GPK-/Cookshop-Fachhandel eine lange Geschichte hat. Mit dem Boom der Kaffeevollautomaten wurden die Espresso-Ecken im Handel Standard. Erst zum Probieren, zum Beraten, als Dankeschön für gute Umsätze und dann, um Kunden zu verwöhnen und zum Verweilen zu bewegen. Die Espresso-Ecken gibt es heute noch. Doch leider müssen die Maschinen viel zu oft erst gestartet werden, wenn eine Kundin, ein Kunde ernst macht. Wirkungsvoller wurden die Vorzüge der gastronomischen Angebote im Laden über – eventuell verpachtete – Cafés, Bistros und Restaurant-Angebote. Im Laufe der weiteren gastronomischen Erlebnisentwicklung kamen Koch-, Grill- und sonstige Schulen hinzu, welche die Branchengeschäfte zugleich in die Nähe der Freizeitbranche rückten. Und damit geht es im stationären Handel – nah und fern.
„Die Jüngeren fliegen zu spektakulären Shops der Lifestyle-Marken“, stellte Florian Siebeck in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Quarterly Ausgabe Anfang 2019 fest und nennt Beispiele wie den Flagship Store von Paul Smith in Los Angeles, die Céline-Boutique in Miami oder Aesop Geschäfte, in denen das Händewaschen zum Kult erhöht wird. Getoppt wird diese Entwicklung von den Läden der Brillenmarke Gentle Monster, wo Kunden laut Gründer Hankook Kim nicht für ihre Einkäufe bezahlen, sondern für die aberwitzigen, ständig wechselnden Erlebnisse in diesen Läden. Für dieses Ziel engagieren Marken Architekten, Künstler und Designer, um das Maximum des stationären Handelsdaseins zu erreichen: Geschäfte, die vergessen lassen, ob man sich in einem Laden, einem Restaurant, einer Kunstausstellung oder etwas ganz anderem befindet, lautet das Fazit des weit gereisten Siebeck.
Doch für dieses Ziel wollen und können weder die Marken noch der Handel der Branche derart tief in die Tasche greifen. Trotzdem ist es gut zu wissen, womit sich Konsumenten locken lassen, wenn sie stationär unterwegs sind und was sie folglich erwarten. Fest steht: der Erlebnishunger bei den unter 40-Jährigen ist besonders groß und außergewöhnlich. Für eigene Konzepte bietet sich die „richtige“ Trendgastronomie als Ideengeber an.
Eine Reise Wert: Architekten und Designer erhöhen wie hier im Londoner Store weltweit das Händewaschen zum sakralen Ritual (Foto: Aesop)
Mehrwert-Erlebnis beim Stöbern – Der neue Butlers mit weniger Warendruck und mehr Orientierung (Foto: Butlers)
Ähnlich wie der extrovertierten Social-Media-Welt besonders gestylte – also instagramable – Speisen serviert werden, haben auch entsprechend fotogene Läden bzw. Präsentationen die Chance, zum „viralen Hit“ zu werden. Auch die Räumlichkeiten inspirieren. So speist man neuerdings in Mitten von vertikalen Kräuterbeeten oder zum Beispiel im „Coast“ in Hamburg in Räumen mit Wandbegrünung: Damit suggerieren Restaurants weltweit ihre Nähe zur Natur. Der Trend dazu heißt „back2Nature“ und greift die Sehnsucht der Verbraucher nach Natur auf. Naturorientierung kann auch ein Ansatz für GPK und Cookshop Geschäftsformate sein, wenn man der Maxime folgt, dass man denken, besser empfinden soll wie die Kunden. Beratungsprofis sagen dazu schlicht: „Customer first“.
Läden spannend machen
Selbst Leuchttürme wie H&M oder Butlers müssen beziehungsweise mussten das lernen. Neben der notwendigen Verzahnung von On- und Offline will man mit spannenderen Läden zurück in die Erfolgsspur. Dafür testet man bei H&M unter anderem die Integration von Fremdmarken, Café-Konzepte, ein Shop-in-Shop für Blumen, Monogramm- und Ausbesserungsdienste sowie eine interaktive Wand, an der Kunden Lieblingsprodukte unter dem Hashtag #HMxME teilen können.
Mit neuem Store-Konzept gelang auch der Butlers Neustart, nachdem in erster Linie der Einrichter-Traum in der Plan-insolvenz endete. Zu wenig Neues und fehlende Inspiration im Kernsortiment war laut Butlers Chef Wilhelm Josten das Kernproblem. Diesem wurde nun mit der Zurückführung des Warendrucks, sprich Sortimentsstraffung, sowie durch Orientierung sprich Inszenierung zu Leibe gerückt. Mit kontinuierlichen Überraschungen wird der Erlebnischarakter beim Stöbern gesteigert. Überraschung ist der Sortiments-tipp überhaupt, aber überraschen muss gekonnt sein. Da passt die Meldung über die Luxusmode-Plattform „Farfetch“, die laut der Fachzeitschrift TextilWirtschaft nun mit Hilfe von Mode-Fans, Branchengrößen und hauseigenem Kreativ-Team täglich neue Inhalte und kuratierte Produktangebote präsentiert und zum Shopping inspiriert.
Im fashion connect Store ist radikale Kundenzentrierung das Ziel (Foto: bonprix Pressestelle)
Kultur im Laden. Mit eigenen Events, mit dem Chor und dem Theater der Stadt generiert das kulturelle Innkaufhaus Besuchsanlässe (Foto: Innkaufhaus, Wasserburg)
Auch die engere Branche liefert bekanntermaßen Inspirationen. Denkt man zum Beispiel an das Innkaufhaus Schuhmacher, Wasserburg, das unter anderem durch eigene Events, aber auch durch Einbindung lokaler Kultur wie den Chor oder das Theater Besuchsanlässe für alle Bürger der Stadt schafft. Oder denkt man an die S-Kultur aus Gunzenhausen, wo im S-Zimmer Kochkultur statt Standard-Kochschule geboten wird, und wohin via Facebook zum Shoppen bei „einem Glas Secco vom Winzer des Jahres 2018“ oder zum gemütlichen Genuss bei „Kaffee und Kuchen in unserem Café“ eingeladen wird.
Sogar um „radikale Kundenzentrierung“ geht es laut Retail-Chef Füchtenschnieder im neuen Pilot-Store von Bonprix, Hamburg. Statt Warendruck und Kauf Mich-Prinzip, sollen Frauen einfach so hereinkommen können, bei angenehmer Musik eine Fruchtschorle trinken und bisschen herumgucken. Beim Sortiment gilt weniger ist mehr, denn „Ware soll wirken“, erklärt Füchtenschnieder das Konzept der nicht mehr vollgestopften Flächen. Langweilig wird es dabei nie: Denn alle acht Wochen wird das komplette Sortiment „neu abgemischt“. Das würde sicher auch GPK- und Cookshop-Kunden anregen. Im neu eröffneten Eventstore von Zec+ Nutrition in Stuttgart rückt die Ware ebenfalls zu Gunsten von „Tasting Area“, „Chill Out Area“ und „Challenge Area“ in den Hintergrund. Ziel der Betreiber ist es, eine persönliche Beziehung zum Kunden aufzubauen, dabei als Stationärer YouTubern und Instagrammern eine Plattform zu bieten. Wie stark digitale Kommunikation in ein Raumkonzept integriert werden muss, das hängt dabei einzig und allein von der Zielgruppe ab.
Kundenzentralität
Dass der stationäre Handel nicht tot ist und sich sogar wieder zu erholen scheint, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Zukunft ein anderer stationärer Handel das Geschäft machen wird. Denn der Siegeszug der Onliner wird vor allem im Nonfood-Bereich weiter gehen. Und digitale Vorzüge werden von den Kunden immer mehr auch von stationären Konzepten erwartet. Schon heute sind Smartphones eine Art Zubringer für den stationären Handel. Und immerhin nutzen 85 Prozent aller Deutschen über 14 Jahre das mobile Internet, ergab die sechste Zeitreihen-Studie von „kaufDA“. Vom Kunden her denken, also auf Kundenzentralität setzen, das haben Onliner wie Amazon drauf. Nach diesem Prinzip die jeweils beliebtesten Produkte gemeinsam mit schnellem und bequemem Einkaufen auf die Fläche zu bringen, das wurde in vielen Pop-up-Stores geprobt. Auf den nächsten Schritt darf man gespannt sein.
Der Kochstudio Store in Frankfurt: konzipiert für die Millennials (Foto: Maggi)
So oder so wird der Onlinehandel dem stationären Handel weiter zusetzen. Doch das ist für Zukunftsforscher Tristan Horx nur ein Teil der Wahrheit. Er empfiehlt dem stationären Handel auf Entschleunigung statt Überkonsum à la Internet zu setzten. Seiner Meinung nach spielt Achtsamkeit in der Generation Global eine wichtige Rolle. Reparieren und recyceln sind angesagt, da die nächste Generation bewusster konsumiert, mahnt er: „Verkaufen im stationären Handel bedeutet in Zukunft, Beziehungsmanagement zu betreiben und nicht Produkte zu verkloppen.“ Darin stimmen ihm auch die GDI Gottlieb Duttweiler Institute und die KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu, die in einer gemeinsamen Studie über „Das Ende des Konsums“ innerhalb der kommenden drei Jahrzehnte sinnieren. Sieht man von dem darin skizzierten utopischen technologischen Szenario ab, macht sich heute bereits eine gewisse Konsumsättigung bemerkbar. Es ist darum kein Zufall, dass Manufactum expandieren kann, nicht weil hier Produkte, sondern eine Lebenseinstellung jenseits von Massenware angeboten wird.
Die Digitalisierung hat das Einkaufsverhalten in den vergangenen Jahren zwar tiefgreifend verändert, dennoch wollen Konsumenten Produkte weiterhin „anfassen, ausprobieren und auf eine persönliche Beratung nicht verzichten“. Zu diesem Schluss kommt auf der Basis einer Kundenbefragung die Unternehmensberatung PwC. Das trifft laut PwC Handelsexperte Christian Wulff auch auf jüngere Konsumenten zu. Aber, und dieses „aber“ müsste groß geschrieben werden: Die Digitalisierung – ohne die es keinen Handel der Zukunft geben wird – treibt den stationären Wandel an. Dabei steht der Kunde im Fokus. Die Konsequenz bei Ikea lautet, dass man mit Innenstadtfilialen näher an die Kunden heran rückt. Damit will Deutschland Ikea-Chef zusätzliche Berührungspunkte schaffen und denkt dabei speziell an die steigende Zahl der Konsumenten ohne Auto. Digitale Schnittstellen in den Einrichtungshäusern, eine Augmented Reality-App gehören ebenso zum Zukunftskonzept wie die Serviceoffensive, die neben „Click & Delivery“, „Assembly & Delivery“ einen Aufbau- und Montageservice umfasst. Auch im Maggi Kochstudio am Rande der Frankfurter Altstadt verschmelzen virtuelle und reale Markenwelt zu einem „begehbaren Foodblog“. Als Zielgruppe für das Erlebniskonzept sind die Millennials mit ihrem Alltag das Maß der Dinge. Das gilt auch für die Kochkurse und -events. Diese Generation ist am Selberkochen interessiert, sagt Kochstudio Leiterin Marianne Nilles. Dabei müsse „nicht immer alles perfekt sein, aber es muss schnell gehen.“ Und damit im Kochkurs tatsächlich „wie zu Hause“ gekocht werden kann, wurde keine edelstahlblitzende Profiküche installiert, sondern eine mit Siemens-Geräten ausgestattete Kochinsel, wie sie auch in modernen Privathaushalten zu finden sei.
Teil der Freizeitgestaltung werden
Am zweistelligen E-Commerce-Wachstum wird sich nichts ändern. Allein 2018 wuchs laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e.V. (bevh) der gesamte Online-Umsatz im Bereich „Einrichtung“ um 12,5 Prozent auf 9,63 Milliarden Euro. Einige dieser Euros könnten durchaus in stationären Kassen landen, wenn der Fachhandel mitspielt. Doch neben den technologischen Herausforderungen sind kundenorientierte Geschäftsideen das Mittel gegen rückläufige Frequenzen, sinkende Bons und negative Umsätze (auch im Internet). „Der Handel steht heute in Konkurrenz zu den Freizeitaktivitäten der Kunden und verliert seine Rolle als Versorger“, mahnt Dr. Marc Zgaga, vom Mittelstandsverbund. Der Kunde komme nicht, um Ware zu kaufen, sondern Shoppen ist ein Teil seiner Freizeitgestaltung. Und Freizeitangebote müssen nun mal in erster Linie zu den ganz persönlichen Vorlieben passen.
Eva Barth-Gillhaus
Via Facebook wird in Cafè der S-Kultur eingeladen (Foto: S-Kultur, Gunzenhausen)